
Nein, das angebliche Zitat hat Hermann Göring bei den Nürnberger Prozessen nicht gesagt
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- Veröffentlicht am 18. November 2020 um 13:43
- Aktualisiert am 18. November 2020 um 13:43
- 3 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Der erste von AFP gefundene Facebook-Post auf Deutsch, der das Share-Pic mit dem Göring-Bild und dems angeblichen Zitat aufgreift?, stammt vom 9. Oktober 2020. Dazu heißt es: "Auf die Frage: 'Wie die Deutschen das alles hätten akzeptieren können?' Nürnberger Prozess, Hermann Göring." Dann folgt das angebliche Göring-Zitat: "Es ist sehr einfach und hat nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun; Es hat mit der menschlichen Natur zu tun. Man kann es in einem nationalsozialistischen, sozialistischen, kommunistischen, monarchischen oder demokratischen Regime tun: Das Einzige, was eine Regierung braucht, um Menschen zu Sklaven zu machen, ist Angst!" Auch andere Facebooknutzerinnen und -nutzer posteten das Bild (etwa hier, hier und hier). Insgesamt verbreitete sich das Share-Pic rund 1500 Mal. User hatten es zuvor auch auf Französisch (etwa hier mit 4000 Shares) und auf Polnisch (hier mit 408 Shares) geteilt.

Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August in Berlin zitierte Robert Kennedy Jr., der Neffe des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, bei einer öffentlichen Rede angeblich Görings Worte. Robert Kennedy Jr. gilt als Verbreiter von Verschwörungsmythen rund um Covid-19.
Das Foto ist echt
Eine Google-Bildersuche führt zum originalen Foto des Share-Pics. Es zeigt den führenden deutschen Nationalsozialisten Hermann Göring am 8. März 1946 bei den Nürnberger Prozessen. Es ist unter anderem im Bestand der Bibliothek an der Havard-Universität zu finden (hier). Der Internationale Militärgerichtshof hatte Göring als Vertrauten Adolf Hitlers im historischen Prozess gegen 24 Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus 1946 zum Tode verurteilt.
Göring war bei der Prozesseröffnung am 20. November 1945 der ranghöchste Nationalsozialist, der nach dem Tod von Hitler, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler noch am Leben war. Göring fungierte im NS-Regime als Kommandeur der Luftwaffe, kommissarischer Innenminister und Ministerpräsident Preußens. Göring beging am 15. Oktober 1946 wenige Stunden vor seiner angesetzten Hinrichtung Suizid.
Das Zitat ist falsch
Eine Suche nach dem Zitat in öffentlichen Archiven der Nürnberger Prozesse auf Deutsch und Englisch ergab keine Treffer.
Erst eine Google-Suche nach Göring-Zitaten in Zusammenhang mit den Wörtern "Angst" und "Volk" führte AFP zu einer Seite, auf der das Buch eines Gerichtspsychologen zitiert wird, in dem eine ähnliche Aussage Görings auftaucht. In dem Buch "Nürnberger Tagebuch", das 1947 original auf Englisch erschien, sammelte Gustave M. Gilbert Aussagen von führenden Nationalsozialisten. So auch von Göring. In der deutschen Übersetzung sagt Göring in einem Gespräch am 18. April 1946 in seiner Zelle demnach zum Gerichtspsychologen:
"Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg. (...) Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt."
Der Psychologe wendet ein: "Nur mit einem Unterschied. In einer Demokratie hat das Volk durch seine gewählten Volksvertreter ein Wort mitzureden, und in den Vereinigten Staaten kann nur der Kongress einen Krieg erklären."
Göring entgegnet laut Gilbert: "Oh, das ist alles gut und schön, aber das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land." (Seite 270)
Fazit: Das auf Facebook verbreitete Zitat hat Hermann Göring so nicht gesagt. Es ist falsch. Selbst in ähnlichen Äußerungen während eines Gesprächs in seiner Nürnberger Zelle taucht weder das Wort "Sklaven" auf, noch geht es im Gespräch darum, dass die Regierung ihre Bevölkerung oder andere versklaven wolle. Auch das Wort Angst fällt nicht.