Nein, der Vulkanausbruch in La Palma hat nicht mehr CO2 ausgestoßen als der deutsche Verkehr in 100 Jahren
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- Veröffentlicht am 13. Oktober 2021 um 14:47
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Vulkan-Behauptung seit dem 29. September 2021 geteilt (hier, hier).
Die Falschbehauptung: In den geteilten Postings heißt es: "Der Vulkan in La Palma hat, stand heute, bereits mehr CO2 und hochgiftige Schadstoffe ausgestoßen, wie das was alle Fahrzeuge aus ganz Deutschland in 100 Jahren nicht schaffen werden! Erzählen Euch das die Medien und Politik nicht?!? … na klingelts, was für ein Schwachsinn der ganze Klimahype und FFF Aktionen doch sind?"
Erstmals seit 50 Jahren ist am 19. September auf der spanischen Kanareninsel La Palma der Vulkan "Cumbre Vieja" ausgebrochen. Der Vulkan spuckte Lava-Fontänen und Asche aus, über ihm war eine riesige Rauchsäule zu sehen. Der Ausbruch hat verheerende Schäden in der Region angerichtet.
Was stößt der Vulkan in La Palma aktuell aus?
Vulkane stoßen tatsächlich verschiedene Stoffe bei Ausbrüchen aus, die auch beim Autofahren entstehen. Das sind vor allem Schwefeldioxid und Kohlendioxid.
Der Vulkan in La Palma stößt Medienberichten zufolge täglich 8000 bis 10.500 Tonnen Schwefeldioxid aus. Seit dem 19. September bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks sind das also maximal 252.000 Tonnen Schwefeldioxid. Das liegt noch etwas unter dem deutschen Gesamtausstoß aus allen Bereichen von 2019. Damals wurden 263.000 Tonnen Schwefeldioxid innerhalb eines Jahres in die Luft abgegeben. Der Anteil aus dem Bereich Verkehr lag damals bei 2200 Tonnen. Der Vulkanausbruch in La Palma hat diesen sehr kleinen und seit 1990 um mehr als 95 Prozent gefallenen Wert tatsächlich sehr schnell überstiegen.
Beim Kohlendioxid, das in öffentlichen Diskussionen zum Klima eine größere Rolle spielt (etwa hier, hier), sieht es anders aus. Vulkane stoßen Kohlendioxid aus und das schon immer, bestätigten Experten gegenüber AFP. Wie viel Kohlendioxid der Vulkan auf La Palma gerade ausstößt, ist aber unbekannt.
Laut dem Vulkanologen Prof. Dr. Matthias Hort von der Universität Hamburg ist es grundsätzlich schwierig, genaue CO2-Messungen in der Atmosphäre an Vulkanen vorzunehmen. In einer E-Mail an AFP am 22. September schrieb Hort: "In der Atmosphäre ist ja schon CO2 vorhanden. Andere Gase wie Schwefeldioxid lassen sich einfach messen, da es praktisch keines in der Atmosphäre gibt." Er ergänzt mit Blick auf den aktuell ausbrechenden Vulkan: "Ich wüsste nicht, wie man so schnell eine solche Kohlendioxid-Messung auf La Palma durchgeführt haben könnte."
Grundsätzlich sind solche Messungen allerdings durchaus möglich. CO2-Messungen des vulkanologischen Instituts der Kanarischen Inseln (Involcan) im Jahr 2017 ergaben, dass der damals noch ruhige Vulkan Cumbre Vieja täglich etwa 800 Tonnen CO2 ausstieß. Das ist im Vergleich mit anderen Vulkanen in der Region etwas weniger und lag nach den Involcan-Informationen damals im normalen Bereich.
Der wohl CO2 intensivste Vulkanausbruch der jüngeren Geschichte war laut dem Vulkanologen Dr. Boris Behncke vom italienischen Institut für Vulkanologie Catania der des Pinatubo im Jahr 1991 auf den Philippinen. Damals wurden etwa 50 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt.
Weltweiter CO2-Ausstoß von Vulkanen und Menschen im Vergleich
Aus Sicht des Vulkanologen Behncke sind die aktuellen Eruptionen für Vulkane nichts Besonderes: "Die Vulkantätigkeit auf der Erde ist derzeit vollkommen normal. Es sind zu jedem Zeitpunkt 20-40 Vulkane aktiv und die gegenwärtigen Eruptionen in Island, auf La Palma und in Italien (Ätna) sind keineswegs außergewöhnlich groß. Sie stoßen nicht mehr Gas aus als andere Eruptionen in anderen Zeiten", schrieb Behncke in einer E-Mail an AFP.
Der inzwischen Forscher Terry Gerlach vom Cascades Volcano Observatory in den USA schätzt in einem Artikel im geowissenschaftlichen Fachmagazin "Eos, Transactions, American Geophysical Union", dass alle Vulkane der Welt jährlich etwa 130 bis 440 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Das passiert demnach sowohl bei aktiven Ausbrüchen als auch durch passives "Ausgasen" über das ganze Jahr verteilt, etwa durch umliegende Gewässer und Gesteine. Eine ähnliche 2019 auf "EurkAlert", einer Plattform für Wissenschaftsnachrichten, veröffentlichte Schätzung geht davon aus, dass Vulkane jährlich etwa 280 bis 360 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre und die Ozeane gleichermaßen ausstoßen und "ausgasen".
Das Umweltbundesamt (UBA), die Faktencheckorganisation "Klimafakten.de", EurkAlert und von AFP kontaktierte Experten sind sich dabei einig: Es gibt weit weniger vulkanische Kohlendioxide in der Atmosphäre als menschengemachte. So schreibt EurkAlert etwa: "Die jährlichen CO2-Emissionen der Menschheit, etwa durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und Wälder, sind 40 bis 100-Mal höher als alle vulkanischen Emissionen."
Laut UBA hat Deutschland allein im Jahr 2020 geschätzt 739 Millionen Tonnen Kohlendioxid produziert. Also etwa doppelt so viel wie alle Vulkane.
Größter Anteil der Luftverschmutzung durch Verkehr: Kohlendioxid
Der deutsche Pkw- und Lkw-Verkehr stößt laut Daten des Umweltbundesamtes vor allem Kohlendioxid aus. Konkret verursachte der Verkehr in Deutschland 2019 laut Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, etwa 163 Millionen Tonnen CO2. 2020 sank der Ausstoß im Verkehr pandemie-bedingt auf 146 Millionen Tonnen. Beide Zahlen liegen im Vergleich etwa im unteren Bereich der Spanne des CO2-Ausstoßes aller Vulkane der Welt.
Vulkanexperte Boris Behncke erklärte auf AFP-Nachfrage: "Selbst die größten Vulkaneruptionen der letzten Jahrhunderte haben relativ geringe Mengen CO2 produziert." Zum Vergleich: Der Ätna als aktivster Vulkan in Europa stößt jährlich bis zu 25 Millionen Tonnen CO2 aus. Dabei sind sowohl Eruptionen als auch das diffuse "Ausgasen" eingerechnet.
Das heißt, dass jedes Jahr etwa genauso viel Kohlendioxid durch den deutschen Auto- und Lastwagenverkehr ausgestoßen wird wie alle Vulkane der Welt im aktiven wie im ruhenden Zustand von sich geben. Da sind allerdings der Flug- und Schiffsverkehr sowie der Linienbusverkehr noch nicht eingerechnet. Diese trugen 2019 noch einmal fast genauso viel zu den Treibhausgasen zusammen. Auf 100 Jahre hochgerechnet übersteigt der menschgemachte CO2-Ausstoß den aktuellen Ausbruch in La Palma demnach um ein Vielfaches.
Boris Behncke erklärte auf AFP-Nachfrage vom 12. Oktober: "Mir ist kein Vulkanausbruch bekannt, bei dem solche Mengen CO2 (163 Millionen Tonnen) auf einmal freigesetzt worden wären."
Fazit: Die Behauptung, dass der Vulkanausbruch in La Palma bereits mehr Kohlendioxid ausgestoßen habe, als der deutsche Verkehr in 100 Jahren ausstoßen könnte, ist falsch. Jährlich ist allein der CO2-Ausstoß des Auto- und Lastkraftwagenverkehrs genauso hoch wie der aller Vulkane der Welt zusammen. Das ein einzelner Vulkanausbruch diesen Wert erreicht, ist sehr unwahrscheinlich – auf 100 Jahre hochgerechnet umso mehr, bestätigen Experten gegenüber AFP.