Diese Videos zeigen Proteste gegen den Rechtsruck, nicht für die AfD

Um einen politischen Rechtsruck zu verhindern, demonstrierten bereits vor einem Jahr tausende Menschen auf den Straßen Deutschlands. Tiktok-Accounts verbreiteten Anfang 2025 Aufnahmen von solchen Protesten und gaben sie fälschlich als Demonstrationen für die AfD aus. Auch die Tonspuren wurden im Nachhinein verändert.

Anfang Februar 2025 fanden bundesweit Demonstrationen gegen Rechtsextremismus statt. Hintergrund war die gemeinsame Bundestagsabstimmung von Union und AfD zur Verschärfung der Migrationspolitik Ende Januar 2025. Veranstaltungen der teils rechtsextremen Partei werden regelmäßig von Kundgebungen begleitet, so auch der Parteitag im Januar 2025. Nach Bekanntwerden eines rechtsextremen Geheimtreffens in Potsdam gingen auch vergangenen Winter zehntausende Menschen auf die Straßen, um gegen einen Rechtsruck zu demonstrieren.

Die folgenden Videos zeigen keine Proteste von AfD-Sympathisantinnen und Sympathisanten. Sie stammen allesamt von Protesten gegen Rechtsextremismus.

Anti-AfD-Proteste in Berlin fanden 2024 statt

Es soll die größte Demo für die AfD gewesen sein. "Tausende Berliner stehen auf", wurde in einem Video eingeblendet, das seit 8. Februar 2025 mehr als 162.000 Mal auf Tiktok angesehen wurde. Accounts wie "alice_weidel_fan" posteten die Videos mit dem Schriftzug "unserelandzuerst". Einige Videos wurden inzwischen gelöscht. Doch Screenshots verbreiteten sich bereits auf Facebook, so auch dieser Beitrag von 25. Februar 2025.

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Tiktok- und Facebook-Screenshot der Behauptung: 11. und 10. Februar 2025

Die angeführte Aufnahme kursiert nicht zum ersten Mal in falschem Kontext. Wie AFP in einem Faktencheck im Februar 2024 bereits herausfand, tauchte die erste Sequenz des Videos zuerst am 21. Januar 2024 auf dem offiziellen Tiktok-Kanal der SPD-Bundestagsfraktion auf. Das Datum entsprach der Demonstration, die in Berlin stattfand und an der rund 100.000 Menschen teilnahmen.

Ausgelöst wurde die Demonstration damals durch eine Recherche der Rechercheplattform "Correctiv", in der aufgedeckt wurde, dass AfD-Mitglieder bei einem Treffen mit Rechtsextremen und Identitären über die Abschiebung von Migrantinnen und Migranten und "nicht assimilierten" Menschen diskutiert hatten.

Bereits einige Wochen später wurden Videos dieser Menschenmassen vor dem Bundestag in Berlin auf Facebook geteilt und fälschlicherweise behauptet, dass es sich um eine Menschenmenge zur Unterstützung der Bauernproteste handle. AFP widerlegte diese Behauptung.

In den aktuell geteilten Videos wurde eine Tonspur verwendet, die in früheren Versionen nicht zu hören war. Die Anfeuerungsrufe "Ost-, Ost-, Ostdeutschland" sind bekannt aus Fußballspielen des Vereins Dynamo Dresden. Eine Suche nach dem hinterlegten Sound führte AFP zu mehreren ähnlich aus dem Kontext gerissene Aufnahmen. Tatsächlich wurde bei der Kundgebung in Berlin am 21. Januar 2024, die in den geteilten Aufnahmen zu sehen ist, unter anderem "Ganz Berlin hasst die AfD" skandiert.

Weitere Sequenz stammt aus Hamburg, nicht Berlin

Eine zweite Sequenz, die im aktuell geteilten Tiktok-Video fälschlich als AfD-Demonstration beschrieben wird, wurde in Hamburg aufgenommen – auch hier war der Kontext ein anderer als online suggeriert.

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Tiktok-Screenshot: 11. Februar 2025

Mittels einer umgekehrten Bildsuche fand AFP auch Aufnahmen einer kürzlich stattgefundenen Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg auf. Diese Demonstration fand am 31. Januar 2025 in der Nähe des Hamburger Rathauses statt, um die AfD symbolisch aus dem Rathaus herauszuhalten, wie etwa der NDR berichtete.

Doch dafür, dass das verwendete Video älter ist, spricht eine Übereinstimmung der Fahnen am Pier der Alster mit jener, die in mehreren Medienberichten aus Januar und Februar 2024 verwendet wurden.

Bereits 2024 fanden in Hamburg mehrere Kundgebungen gegen den Rechtsruck aufgrund der erwähnten "Correctiv"-Enthüllungen statt. Die Sequenz zeigt also keine pro-AfD-Demonstration. 

In der Gegenüberstellung sind die Boote mit roten Akzenten sichtbar. Selbst die Wolkenstreifen am Himmel stimmen mit den älteren Fotos überein. Im Hintergrund ist der Fernsehturm in Hamburg zu sehen, der sich optisch eindeutig von jenem am Berliner Alexanderplatz unterscheidet – aus Berlin stammt die Aufnahme somit kategorisch nicht.

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Gegenüberstellung von Aufnahmen aus einem Medienbericht von "Deutschlandfunk" (links) und Tiktok: Screenshots von 11. Februar 2025, Hervorhebungen durch AFP

Der Menschenandrang auf der "Demo gegen rechts" in Hamburg war im Januar 2024 sogar so groß, dass diese abgebrochen werden musste, wie Medien berichteten.

Auch dritte Sequenz in Hamburg gedreht

Auch die dritte Sequenz in dem aktuell geteilten Video stammt nicht aus Berlin. AFP konnte den genauen Ort in Hamburg identifizieren, an dem das Video aufgenommen wurde. 

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Tiktok-Screenshot der Behauptung: 13. Februar 2025

Aus dieser Perspektive führt der Blick hinunter auf die Gallerie Commeter in der Bergstraße und dem gegenüberliegenden Bekleidungsgeschäft.

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Google Maps-Screenshot: 13. Februar 2025

Im Hintergrund ist die Hauptkirche Sankt Petri zu sehen, erkennbar an der roten Fassade und der Anordnung der Fenster auf dem Turm.

Videos tauchten im Vorfeld der Wahlen auf

An Video- und Fotoaufnahmen von Protesten gegen die AfD bedienten sich in den vergangenen Wochen verschiedene Fan-Accounts von Alice Weidel und ihrer Partei. Unter anderem wurden Aufnahmen von Coldplay-Konzerten als riesige AfD-Veranstaltung ausgegeben. Ein Kontaktversuch an "alice_weidel_fan" auf Tiktok blieb unbeantwortet.

"Manipulierte Inhalte wie diese sollen den Eindruck erwecken, die AfD genieße mehr öffentliche Unterstützung, als tatsächlich vorhanden ist", schrieb Josephine Schmitt auf AFP-Anfrage am 10. Februar 2025. Die Forscherin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) erklärte, dass solche Videos "für AfD-nahe Personen Bestätigung und Mobilisierung bedeuten" würden. Sie würden gleichzeitig "eine Grundlage für Verschwörungserzählungen" bieten, etwa dass "Medien absichtlich den vermeintlichen Zuspruch verschweigen" würden. Außerdem fügte Schmitt an: "Die gezielte Emotionalisierung – etwa durch Bilder von Menschenmassen, die angeblich für die AfD eintreten – steigert die Bereitschaft, solche Inhalte zu teilen, zu liken und zu kommentieren."

Könnten solche Videos der AfD bei den anstehenden Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 zu einem Erfolg verhelfen? "Die AfD könnte davon auf mehreren Ebenen profitieren", antwortete Schmitt dazu. Solche Inhalte würden "die eigene Basis mobilisieren" und "den Zusammenhalt unter ihren Anhängerinnen und Anhängern stärken". Für die "unentschlossenen oder unzufriedenen" Wahlberechtigten könnten "Desinformationen, die andere Parteien angreifen, zusätzlich eine stärkere Neigung zur AfD auslösen".

AFP hat bereits andere Falschbehauptungen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2025 überprüft.

Fazit: Mehrere Accounts auf Tiktok verbreiteten unzählige Aufnahmen von Menschenmassen und gaben sie als Demonstrationen für die AfD aus. Die Videos zeigen jedoch keine Proteste von AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten, sondern Demonstrationen gegen Rechts. Rufe von Fußballfans wurden im Nachhinein hinzugefügt.

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