Nein, Bundespräsident Steinmeier drohte nicht, die Bundestagswahl 2025 zu annullieren
- Veröffentlicht am 21. Januar 2025 um 17:26
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
Copyright © AFP 2017-2025. Für die kommerzielle Nutzung dieses Inhalts ist ein Abonnement erforderlich. Klicken Sie hier für weitere Informationen.
"Frank-Walter Steinmeier droht bei Neuwahlen mit rumänischer Lösung", lautet die Überschrift eines Artikels der Website "Tichys Einblick" vom 27. Dezember 2024. "Indirekt droht er mit rumänischen Verhältnissen – wo der Sieg rechter Parteien zur Annullierung der Wahl geführt hat", heißt es darin. Einen ähnlichen Artikel veröffentlichte auch die Website "Reitschuster", die wie "Tichys Einblick" bereits Falschinformationen verbreitete. Die Aussagen wurden seither vielfach auf Plattformen wie Facebook, X und Telegram verbreitet sowie in Videos auf Tiktok und Youtube aufgegriffen. Auch in den Reihen der AfD wurde die Behauptung geteilt, beispielsweise vom Bundestagsabgeordneten Jörn König.
Diese Behauptung ist jedoch irreführend. Am Tag, an dem der Artikel auf der Website "Tichys Einblick" veröffentlicht wurde, hielt Bundespräsident Steinmeier eine Rede (hier archiviert), in der er den Deutschen Bundestag nach der verloreren Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz offiziell auflöste. Die Neuwahl setzte er für den 23. Februar an. Diese Rede nutzte Steinmeier, um zu einem fairen Wahlkampf aufzurufen, aber auch um vor Einfluss zu warnen: "Einflussnahme von außen ist eine Gefahr für die Demokratie – sei sie verdeckt, wie kürzlich offenbar bei den Wahlen in Rumänien, oder offen und unverhohlen, wie es derzeit besonders intensiv auf der Plattform X betrieben wird." Er wende sich "entschieden gegen alle äußeren Einflussversuche", fügte Steinmeier an. "Die Wahlentscheidung treffen allein die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland."
Dieser Abschnitt aus seiner Rede ist Anlass für die online kursierende Falschbehauptung. Im geteilten Artikel heißt es, Steinmeiers Aussagen seien so zu verstehen, dass die besagten äußeren Einflüsse schon vorliegen würden und Anlass für eine Annullierung geben könnten. Schließlich solle das Wahlergebnis so ausfallen, "wie es der Sozialdemokrat Steinmeier erwartet".
Rumänien als Referenz
Im Dezember 2024 erklärte das Verfassungsgericht in Rumänien laut Medienberichten die dortige Präsidentschaftswahl für ungültig. Der rechtsextreme Kandidat Calin Georgescu hatte überraschend den ersten Wahlgang Ende November 2024 gewonnen. Das Verfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Wahlprozess irregulär verlaufen sei und Wählerinnen und Wähler manipuliert worden seien, indem ein Präsidentschaftskandidat in sozialen Medien gesetzeswidrig bevorzugt worden sei. Rumänische Behörden beschuldigten Georgescu, von einer illegalen russischen Unterstützungskampagne auf Tiktok profitiert zu haben. Der neue Termin für den ersten Wahlgang ist nun der 4. Mai 2025. Steinmeiers Verweis auf Rumänien wird so interpretiert, dass bei einem Sieg rechter Parteien die Bundestagswahl auch in Deutschland für ungültig erklärt werden könnte.
Eine Stichwortsuche in Steinmeiers Rede zu der Falschbehauptung sowie eine Websuche lieferten keine Ergebnisse. Er sprach darin nicht von einer Annullierung der Bundestagswahl. Auf Anfrage von AFP erklärte die Sprecherin des Bundespräsidenten am 21. Januar 2025, aus der Rede ließe sich "an keiner Stelle" die online geteilte Falschbehauptung ableiten.
Bundespräsident kann Wahl nicht annullieren
Die Aufgaben des Bundespräsidenten sind im Grundgesetz festgeschrieben (hier archiviert). So ernennt er beispielsweise die Bundesrichter oder löst auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag auf. Das Grundgesetz führt in den Artikeln zum Bundespräsidenten jedoch keine Kompetenz auf, eine Wahl für ungültig erklären zu können. Das Bundeswahlgesetz nennt den Bundespräsidenten drei Mal (hier archiviert). Auch hier wird die Annullierung einer Wahl durch ihn nicht aufgeführt.
Laut Bundeswahlgesetz ist eine Anfechtung der Bundestagswahl grundsätzlich möglich. "Über die Gültigkeit von Bundestagswahlen entscheidet nach dem Grundgesetz (Artikel 41) der Deutsche Bundestag", erläuterte eine Sprecherin der für die Bundestagwahl zuständigen Bundeswahlleiterin am 19. Januar 2025 auf AFP-Anfrage.
Einspruch können alle Wahlberechtigte einlegen
Zuletzt wurde die Bundestagswahl 2021 in Teilen Berlins angefochten. Wegen Unregelmäßigkeiten wie fehlender Stimmzettel und in Folge langer Wartezeiten in Wahllokalen gingen zahlreiche Einsprüche beim Bundestag ein, der für deren Prüfung zuständig ist. "Den Einspruch kann jede und jeder Wahlberechtigte, jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jede Landeswahlleitung, die Bundeswahlleiterin und der Präsident oder die Präsidentin des Bundestages einlegen", erklärte die Sprecherin der Bundeswahlleiterin weiter. Wie diese Prüfung abläuft, regelt ebenfalls ein entsprechendes Gesetz. Auch dort wird der Bundespräsident nicht genannt.
"Der Bundespräsident kann eine Bundestagswahl nicht für ungültig erklären", stellte die Sprecherin der Bundeswahlleiterin klar. "Es gibt ausschließlich das geschilderte Wahlprüfungsverfahren beim Deutschen Bundestag und die anschließende Möglichkeit der Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht."
Weitere Faktenchecks zur Bundestagswahl finden sich auf der AFP-Website.
Fazit: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in seiner Rede am 27. Dezember 2024 über Einflussnahme von außen auf Wahlen, nicht darüber, dass er die Bundestagswahl 2025 für ungültig erklären würde. Zudem ist der Bundespräsident zu einem solchen Schritt rechtlich nicht befugt. Ob eine Bundestagswahl gültig ist, entscheidet der Deutsche Bundestag.