Vorfall auf AfD-Veranstaltung ereignete sich bereits 2018
- Veröffentlicht am 21. Januar 2025 um 09:54
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Elena CRISAN, AFP Österreich
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Eine Frau mit blonden Haaren winkt Polizisten herbei, während sie im Getümmel geschubst wird. Es handelt sich dabei um Szenen aus einem Video, das derzeit im Netz kursiert und scheinbar einen Vorfall auf einem AfD-Parteitag am 15. Dezember 2024 zeigen soll. "G®ün€ Stürmen AF.D Parteitag", wird im Video eingeblendet, "Sie fordern AF.D Verbot".
"Bilder von der Tagesschau?", fragte ein User in den Kommentaren. "Wir schauen keine Tagesschau", antwortete ein Nutzer, der den Tiktok-Beitrag mit dem Video hochlud, welches seit 15. Dezember 2024 rund 10.000 Likes generierte. Doch das Video, das von Nutzerinnen und Nutzern oft als "Skandal" bezeichnet wird, ist eine Ansammlung unzusammenhängender Aufzeichnungen. Diese wurden seit Dezember 2024 vielfach auf Facebook, X, Telegram sowie auf Youtube geteilt.
Um herauszufinden, woher die Aufnahmen stammen, führte AFP eine umgekehrte Bildersuche mithilfe von Screenshots aus dem Video durch. Unter den Ergebnissen befindet sich ein Artikel des Lokalmediums "report-K, Internetzeitung Köln", publiziert am . Der Titel dazu lautet "Tumulte bei AfD 'Bürgerdialog' im VHS Forum". Darin hieß es etwa, "bei einer Veranstaltung der Kölner AfD im VHS Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum am Kölner Neumarkt" sei es "zu Tumulten" gekommen. Einen Tag später veröffentlichte "report-K" ein Video dazu auf Youtube. Dieses entspricht dem aktuell verbreiteten Clip. Darin ist auch ein rotes Mikrofon mit der Aufschrift "report-K.de" zu sehen.
Die aktuell geteilten Aufnahmen stammen also von einer AfD-Veranstaltung im Jahr 2018 in Köln, nicht von einem Parteitag im Dezember 2024. Die Uniformen der Polizistinnen und Polizisten sowie die Plakate der AfD im Hintergrund verraten ebenfalls, dass der Veranstaltungsort im Bundesland Nordrhein-Westfalen lag.
In einem Facebook-Post teilte ein AfD-Politiker am 20. Dezember 2018 Fotos und ein Video von dem Vorfall. Im Posting ist die Rede von "linken Aktivisten". Im aktuell geteilten Video sind Transparente mit der Aufschrift "NEIN zur AfD" und "Solidarität STATT HETZE" zu erkennen. Ein Logo der Grünen ist nicht zu sehen.
Was bei der Veranstaltung 2018 passierte
Das Event vom Dezember 2018 beschäftigte auch den Landtag in Nordrhein-Westfalen. Die AfD stellte am Ende Januar 2019 eine Anfrage an die Landesregierung, in der sie erklärte, dass "drei AfD-Bundestagsabgeordnete am 20. Dezember 2018 einen Bürgerdialog im Museum am Neumarkt (Rautenstrauch-Joest-Museum) in Köln" veranstalteten. Des Weiteren wird ausgeführt: "Dieser musste unterbrochen werden, da linke Störer u.a. die Bühne stürmten." Aus der Anfrage geht hervor, dass die AfD "einschlägig erkennbare potenzielle linke Störer" abweisen wollte, die Polizei dies jedoch nicht erlaubt hätte. "Die Polizei drängte die linken Störer aus dem Saal und setzte diese in einem Nebenraum fest", hieß es von Seiten der AfD-Landtagsabgeordneten. Die Antwort vom 7. März 2019 widerspricht dieser Ansicht. Darin stellte die Landesregierung fest, dass bestimmte Personenkreise zwar von der Teilnahme an öffentlichen Versammlungen ausgeschlossen werden dürfen, der Veranstalter von diesem Recht "keinen Gebrauch" gemacht habe.
In der AfD-Anfrage wird eine Pressemeldung der Polizei Köln vom späten Abend des 20. Dezember 2018 erwähnt, die nicht mehr auf ihrer Website aufrufbar ist. AFP konnte sie in Internetarchiven ausfindig machen. Darin beschreibt die Polizei "Tumulte bei öffentlicher Saalveranstaltung", bei denen diese eine "Störergruppe" vom Podium führte. Sie schrieb weiter, dass "eine rechtsgerichtete Ratsfraktion" in dem städtischen Museumsgebäude zu einer "Vortragsreihe mit offenem Bürgerdialog" eingeladen hatte.
Bei dem Einsatz wurde ein Polizist "erheblich" verletzt, wie es in der Presseaussendung heißt. Auch aus der AfD-Anfrage an die Landesregierung und der Pressemeldung der Polizei geht dies hervor. Der Polizist stürzte und erlitt eine Knieverletzung. Deshalb wurde damals ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie auch in dem Video von "report-K" zu hören ist. Das Verfaren wurde inzwischen eingestellt. Auf AFP-Anfrage schrieb eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Köln am 13. Januar 2025, dass es ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Bürgerdialog im Dezember 2018 "wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz" gegeben habe, welches sich "insgesamt gegen 30 Beschuldigte richtete." Das Ermittlungsverfahren sei jedoch Anfang 2019 eingestellt worden.
Die politische Haltung oder Parteizugehörigkeit der Beschuldigten würden anhand "der im System zur Verfügung stehenden Informationen" nicht getroffen werden, "da diese elektronisch nicht erfasst werden". AFP fand keine Hinweise, die darauf hindeuten, dass es sich bei den Störern um grüne Parteimitglieder handelte.
Wer die Störerinnen und Störer waren
Wie die Polizei Köln am 20. Dezember 2018 bekannt gab, hatte ein Bürgerbündnis im Vorfeld des Bürgerdialogs eine Gegenversammlung vor dem Museum im Ort angemeldet. In einem "Spiegel"-Artikel von 21. Dezember 2018 bekannte sich das Aktionsbündnis "Köln stellt sich quer" dazu, die Gegendemonstration vor dem Saal organisiert zu haben. Von den Ereignissen im Gebäude distanzierte sich das Bündnis. Eine Sprecherin sagte damals dem "Spiegel": "Wir haben von vornherein gesagt: Wir protestieren draußen."
Weitere Indizien zu den Protestierenden fand AFP in einem Aufruf von 15. Dezember 2018 durch die Organisation "Kein Veedel für Rassismus". Darin forderten Aktivistinnen und Aktivisten dazu auf, "AfD die Meinung" zu sagen und "rechtzeitig zum Einlass des 'Bürgerdialoges' vor Ort zu sein". Die Gegendemonstration wurde als "Begleitprogramm zum Bürgerdialog der AfD Köln" vorgestellt.
Chrupalla-Zitate stammen aus Juni 2024
Parteitage der AfD werden öfter von Demonstrationen begleitet, wie aus zahlreichen Medienberichten hervorgeht. Rund um den zweitägigen Parteitag der AfD in Essen Ende Juni 2024 gab es laut Polizei 32 Gegendemonstrationen.
In diesem Zusammenhang meldete sich AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla zu Wort. Das ist auch im aktuell verbreiteten Video zu hören. Seine Aussage bezog sich auf den Parteitag in Essen im Sommer 2024, nicht auf angebliche Vorfälle im Dezember 2024. "Es gibt kein vergleichbares europäisches Land, wo einer Partei die Versammlung unmöglich gemacht wird", sagte er im Video. Wie auch das Faktencheck-Team der Rechercheplattform "Correctiv" herausfand, stammten die Aussagen Chrupallas aus einem Interview mit dem Fernsehsender Welt vom 29. Juni 2024. Damals versuchten Demonstrierende mit Blockaden und Störaktionen, Delegierte an der Anreise zu hindern. Stattfinden konnte der Parteitag zwar – jedoch mit Verzögerung.
Auch der jüngste AfD-Parteitag in Riesa in Sachsen von 11. bis 12. Januar 2025 begann verspätet. Laut "Tagesschau" hatten sich Protestierende teilweise festbetoniert. Zu einem angeblichen Parteitag der AfD im Dezember 2024 konnte AFP online keine Informationen finden.
Eine AFP-Anfrage an die AfD zu dieser Thematik blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.
Fazit: Aufnahmen von Störungen einer AfD-Veranstaltung wurden aus dem Kontext gerissen. Diese stammen von einem Bürgerdialog im Jahr 2018 und nicht von einem Parteitag im Dezember 2024. AFP fand in Polizeiberichten keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Störerinnen und Störern um Anhängerinnen und Anhänger der Grünen handelte.