Angeblich authentisches Video einer Abtreibung stammt aus einem Spielfilm

Ende November 2024 machte die Partei AfD in Deutschland durch Forderungen nach einem verschärften Abtreibungsrecht Schlagzeilen. Zeitgleich kursierte online die Videosequenz eines Ultraschallbildes mit der Behauptung, es zeige den "verzweifelten Kampf eines Fötus gegen die Abtreibungszange". Doch der Clip stammt aus einem Spielfilm von 2019. Fachleute erklärten gegenüber AFP, dass das Video keine authentische Darstellung einer Abtreibung sei.

Abtreibungen sind ein politisches Thema mit Sprengstoff. Das zeigte sich im November 2024 einmal mehr in Deutschland, wo die rechte Partei AfD in ihrem Wahlprogramm eine deutliche Verschärfung des Abtreibungsrechts forderte. Zeitgleich kursierten in sozialen Medien emotionalisierende Beiträge: "Dieser Ultraschall eines Babys, das unter Qualen gegen die Zange eines Abtreibungsarztes kämpft, ist vielleicht das stärkste Argument gegen Abtreibung, das jemals vorgebracht wurde", heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 24. November 2024. Dazu teilte die Nutzerin ein Video, das vermeintlich eine Ultraschallaufnahme zeigt.

Auch auf X und Telegram wurde der Clip vielfach geteilt. Darunter finden sich zahlreiche erschütterte Kommentare von Nutzerinnen und Nutzern, die das Video für authentisch halten: "Meine Tränen laufen gerade einfach! Ich bin gegen Abtreibungen und hier sehe ich, wieso mein Inneres immer schon dagegen gewesen ist", schrieb eine Nutzerin am 26. November 2024 auf X.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 3. Dezember 2024

Der Clip wurde auch in anderen Sprachen wie Französisch und Portugiesisch verbreitet. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass die Sequenz aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen wurde und online kursierte: In einem französischen Faktencheck aus dem Jahr 2019 konnte AFP bereits nachweisen, dass die Szene ursprünglich aus einem Spielfilm stammt, der im Jahr 2019 veröffentlicht wurde. Der Clip zeigt somit keine echte Abtreibung.

Ultraschallaufnahme stammt aus einem Spielfilm

Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche konnte AFP nachweisen, dass die online kursierende Sequenz aus dem Film "Unplanned" aus dem Jahr 2019 stammt. Der Film wurde von einem christlichen Filmstudio produziert und ist von einem gleichnamigen Buch inspiriert. Abby Johnson, eine ehemalige Leiterin einer Klinik für Familienplanung in Bryan, Texas, beschrieb in dem Buch ihr eigenes "spirituelles Erwachen", nachdem sie einer Abtreibung beigewohnt hatte. 

Wie authentisch die in Johnsons Buch geschilderten Erfahrungen sind, ist jedoch fraglich: Eine Untersuchung der Zeitschrift "Texas Monthly" hatte einige Ungereimtheiten in der Geschichte aufgedeckt. Die Klinik in Bryan, Texas, in der Johnson arbeitete, hatte in ihren Archiven beispielsweise keinerlei Aufzeichnungen über einen Eingriff, der mit dem von Johnson beschriebenen "Erweckungserlebnis" übereinstimmen könnte – weder in Bezug auf das Datum, das Alter des Embryos noch das Profil der Patientin.

AFP konnte die Szene im Film "Unplanned" ausfindig machen, die für den online kursierenden Clip verwendet wurde. Dabei handelt es sich um eine vergrößerte und zugeschnittene Version einer Filmszene, die im Werbematerial des Films auf IMDB geteilt wurde (hier archiviert).

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Screenshot der Ultraschallszene des Films "Unplanned", die auf der IMDB-Website veröffentlicht wurde: 5. Dezember 2024

AFP hat den Filmausschnitt mit der gezeigten Ultraschallaufnahme gesichtet. Laut Film zeigt der Clip einen 13 Wochen alten Fötus. Wie in einem Artikel auf der offiziellen Facebook-Seite des Films erklärt wird, wurde ein Ultraschallbild der schwangeren Frau eines der mitarbeitenden Cutter verwendet. Laut einem IMDB-Eintrag, der dem Vater zugeschrieben wird, war der Fötus zum Zeitpunkt der Aufnahme 18 Wochen alt.

Der Film "Unplanned" basiert zwar auf einem autobiografischen Werk, ist jedoch ein Spielfilm und keine Dokumentation. Darüber hinaus erklärten mehrere Expertinnen und Experten gegenüber AFP, dass die online kursierende Szene nicht als echte Darstellung eines 13 Wochen alten Fötus oder einer Abtreibung angesehen werden könne.

Keine authentische Darstellung einer Abtreibung

Dr. Karl Oliver Kagan, Abteilungsleiter für Pränatalmedizin an der Universitätsklinik Tübingen, bestätigte gegenüber AFP am 26. November 2024 telefonisch, dass die online verbreitete Szene nicht authentisch sei. "Auf den ersten Blick macht es den Eindruck, es handle sich um ein Ultraschall-Bild. Aber auf den zweiten Blick sieht man: Der Uterus ist nicht sauber dargestellt, es handelt sich um eine eigenartige Art der fetalen Darstellung, wie sie in der Frühschwangerschaft nicht sein kann. Die Bauchorgane sind so hell – das passt einfach nicht für eine reelle Untersuchung." 

Bereits für den AFP Faktencheck aus dem Jahr 2019 erklärten Expertinnen und Experten, dass die gezeigte Szene einen manipulativen Charakter habe: "Diese Bilder sind völlig unrealistisch, aber sie scheinen absichtlich so gewählt zu sein, um Frauen Angst zu machen", sagte der Gynäkologe Bernard Hédon, Abteilungsleiter am Universitätsklinikum Montpellier in Frankreich. Dem Experten zufolge impliziere das Filmmaterial fälschlicherweise, dass die Bewegungen des Fötus auf Schmerzen zurückzuführen seien. "Während einer Abtreibung kann ein Fötus tatsächlich plötzliche Bewegungen ausführen, wie auch während der gesamten Schwangerschaft, aber das bedeutet nicht, dass er Schmerzen hat", erklärte Hédon.

Sophie Gaudu, Hebamme, Gynäkologin und Leiterin der Abteilung für Familienplanung am Bicêtre-Krankenhaus in der Nähe von Paris, bestätigte: "Wenn bei einem Schwangerschaftsabbruch eine Vakuumaspiration eingesetzt wird (Absaugmethode, Anm. d. Red.), bringt diese den Eierstocksack in Bewegung und kann bewirken, dass sich der Embryo bewegt." Sie wies darauf hin, dass ein chirurgischer Schwangerschaftsabbruch unter Ultraschallkontrolle nicht auf die im Clip gezeigte Weise durchgeführt werde. Zudem könne ein Fötus erst nach der 20. Woche Schmerzen empfinden.

Auch Gynäkologe Dr. Israel Nisand, der vormals Präsident des Nationalen Kollegiums Französischer Geburtshelfer und Gynäkologen war, bestätigte dies: "Wir wissen, dass ein Embryo mit 13 Wochen noch keine Schmerzzentren entwickelt hat, sondern erst mit etwa 22 Wochen."

Politischer Kontext des Videos

Im November 2024 kursierte der aus seinem Kontext gerissene Clip in Deutschland zeitgleich mit einer politischen Debatte rund um Schwangerschaftsabbrüche: In ihrem Wahlprogramm hatte die rechte Partei AfD eine Verschärfung des Abtreibungsrechts gefordert. Am 5. Dezember 2024 diskutierten die Abgeordneten des Bundestags über eine mögliche Reform der gesetzlichen Regelungen rund um Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland.

Doch auch in seinem Originalkontext aus dem Jahr 2019 korrespondierte der Film "Unplanned" mit der politischen Gemengelage: AFP hatte im Jahr 2019 über den unerwarteten Erfolg des Films berichtet. Aktivistische Gruppen der sogenannten "Pro Life"-Bewegung, die für ein Abtreibungsverbot in den USA kämpfen, begrüßten den Film sehr, während kritische Stimmen ihn als Propaganda bezeichneten. Die "Pro Life"-Bewegung ist ein Sammelbegriff für verschiedene Gruppen von Organisationen, die Abtreibungen einschränken oder verbieten wollen, oft aus religiösen Gründen.

Seit der Premiere des Films "Unplanned" im Jahr 2019 hat die Bewegung in den Vereinigten Staaten einige Erfolge bei ihren Bemühungen erzielt: 22 US-Bundesstaaten haben Abtreibungsverbote unterschiedlicher Strenge erlassen, nachdem der konservativ dominierte Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung aufgehoben hatte.

Hinter dem Film stehen zudem zwei Filmschaffende mit abtreibungsfeindlichen Ansichten, Cary Solomon und Chuck Konzelman. Auf der Website des Films bewerben sie religiöses Lesematerial für Menschen, die abgetrieben haben: "Wir beten dafür, dass diese Andacht der Katalysator für den Beginn einer persönlichen Heilungsreise für jede Person ist, die von einer Abtreibung betroffen war", heißt es dort. Auf derselben Website wird ein Zitat von Shawn Carney, dem Präsidenten von "40 Days for Life" wiedergegeben. Dabei handelt es sich um eine christlichen Anti-Abtreibungsorganisation, die ebenfalls das zum Verkauf stehende religiöse Lesematerial empfiehlt.

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Screenshot der Website des Films "Unplanned": 5. Dezember 2024

"40 Days for Life" bezeichnet sich laut Website als "weltweit größte Graswurzelbewegung zur Beendigung von Abtreibungen". Die Organisation war am Entstehungsprozess des Films beteiligt und sammelte öffentlich Spenden für den Film. Im November 2024 begrüßte die Organisation den Sieg von Donald Trump bei der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl mit der Begründung, dass dies eine Gelegenheit sei, Abtreibungen in den Vereinigten Staaten weiter einzuschränken.

Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von 2022, mit der das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung aufgehoben wurde, haben viele US-Bundesstaaten nahezu vollständige Abtreibungsverbote eingeführt, wie auf dieser interaktiven Karte des Guardian (hier archiviert) zu sehen ist. Seit der Wiederwahl von Donald Trump rechneten einige US-amerikanische Medien mit einer weiteren Einschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen während seiner zweiten Amtszeit.

Fazit: Eine online kursierende Ultraschallaufnahme stammt aus einem Spielfilm aus dem Jahr 2019. Sie zeigt keine echte Abtreibung, wie in sozialen Medien behauptet.

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