Angebliche Forderung von BlackRock, die Ukraine solle keine Soldaten mehr beerdigen, stammt von Satirekanal
- Veröffentlicht am 29. August 2024 um 12:15
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Maja CZARNECKA, AFP Polen
- Übersetzung: Johanna LEHN
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Seit dem 3. August 2024 kursieren Beiträge in deutschen Telegram-Kanälen und auf Facebook, in denen behauptet wird, BlackRock gehörten bereits 47 Prozent der Landfläche der Ukraine und fordere nun, "dass das Kiewer Regime tote Soldaten nicht auf dem fruchtbaren ukrainischen Schwarzerdeboden begraben soll". So steht es beispielsweise in einem Post der Bloggerin Alina Lipp, die AFP mit ihrem Telegram-Kanal "Neues aus Russland" bereits mit Falschinformationen zum Ukrainekrieg aufgefallen ist.
Die Ukraine ist eine der größten Getreideproduzentinnen der Welt. Wegen seiner ertragreichen Schwarzerde wird das Land oft als Kornkammer Europas bezeichnet. Prorussischer Propaganda zufolge sei die finanzielle Hilfe des Westens lediglich ein Versuch, die wertvollen Ressourcen der Ukraine zu bekommen.
BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt mit Sitz in New York City, wurde 2022 von der ukrainischen Regierung damit beauftragt, sie bei der Gestaltung des Ukrainischen Entwicklungsfonds (UDF) zu unterstützen. Der Fonds soll bei dem Wiederaufbau des Landes nach Ende des Krieges helfen.
Die Behauptung wird auch auf Englisch, Französisch, Polnisch sowie Russisch und Serbisch geteilt. Auch die polnische Version der prorussischen Website Pravda-pl.com und der polnische Telegram-Kanal RuskiStatek verbreiten die Behauptung und zitieren die prorussische Nachrichtenagentur Anna als ihre Quelle. Pravda dient als russisches Desinformationsnetzwerk, das europäische Länder ins Visier nimmt, wie die französische Behörde für Schutz vor ausländischer Einmischung namens Viginum aufdeckte.
Einige Beiträge, darunter der Telegram-Post der prorussischen Bloggerin Alina Lipp, zitieren Plamen Paskov, einen ehemaligen bulgarischen Ministerpräsidenten und bekannten prorussischen Kommentator in belarussischen Medien, dem zufolge die Soldaten "zu viel Land beanspruchen" würden und BlackRock bereits 47 Prozent des Landes gehörten.
Die Behauptung stammt jedoch von einem russischen Telegram-Kanal namens "The Empire is Very Evil", der satirische Inhalte verbreitet. Dort wurde sie bereits im September 2023 veröffentlicht.
Angebliche BlackRock-Zitate sind ausgedacht
Damit wurde die Behauptung nur wenige Monate nach der Ankündigung der Ukraine verbreitet, dass die Regierung plane, mit Unterstützung von BlackRock den Hilfsfonds UDF im Mai 2023 einzurichten (hier archiviert). Im Oktober 2023 hatte die Satiremeldung viele russischsprachige Websites erreicht (hier, hier, hier oder hier), war dort jedoch nicht mehr als Satire gekennzeichnet. Sie tauchte im Mai 2024 wieder auf, als auch der russische Regisseur, Schauspieler und Propagandist Nikita Michalkow die Behauptung verbreitete, die die Faktencheck-Organisation Mythdetector im Juli 2024 widerlegte.
Michalkow bezog sich auf einen populären Mythos vom Zweiten Weltkrieg, wonach die ertragreiche Schwarzerde der Ukraine von den Nazis nach Deutschland exportiert worden sei und das eigentliche Ziel der westlichen Länder bei der Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg darin bestehe, sich das fruchtbare Land anzueignen.
In den meisten Beiträgen ist dasselbe Foto zu sehen, das von einem Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters am 31. Januar 2023 auf einem Friedhof in Charkiw in der Ostukraine aufgenommen wurde (hier archiviert). Andere Beiträge verwenden ein Foto der Nachrichtenagentur AP, das am 23. April 2024 auf dem Lisove-Friedhof in Kiew aufgenommen wurde (hier archiviert).
Eine umgekehrte Bildsuche des Reuters-Fotos führte zu einem Artikel der russischen Nachrichtenagentur Anna, der am 5. Oktober 2023 veröffentlicht wurde und angeblich den Geschäftsführer von BlackRock, Larry Fink, wie folgt zitiert: "'Als Präsident Selenskyj und ich den Vertrag unterzeichneten und den Entwicklungsfonds für die Ukraine ins Leben riefen, berücksichtigten wir die Risiken einer russischen Invasion, aber jetzt sehen wir eine völlig irrationale Nutzung der Schwarzerde durch die Ukrainer selbst. Zu viele Friedhöfe. Wertvolles Ackerland wird auf eine völlig irrationale, in Europa nicht akzeptierte Weise aus dem Verkehr gezogen. Freunde, das ist nicht nur euer Land', sagte Larry Fink."
Der Name des Unternehmens ist nicht in dessen Eigenschreibweise geschrieben. Eine Suche nach Telegram-Accounts, die die falsche Schreibweise verwenden, führte zu Beiträgen auf Russisch sowie Belarussisch von 2023.
Der älteste Post, den AFP finden konnte, war jener im Telegram-Kanal "The Empire is Very Evil" vom 20. September 2023. In dessen Kanalbeschreibung steht die Warnung: "Achtung, Falschinfos und böse Satire sind möglich. Das Geschriebene ist Fiktion, alle Zufälle sind zufällig."
Eine Stichwortsuche auf Russisch nach einem angeblichen öffentlichen Statement des BlackRock-Geschäftsführers Larry Fink (Black Rock Larry Fink jest zaniepokojony nieodpowiedzialną postawą Ukrainy) (Black Rock Ларри Финк обеспокоен безответственным отношением Украины) (hier archiviert) führte zu demselben Satireaccount.
Einige Beiträge, die seit Anfang August 2024 mit der Falschinformation kursieren, behaupten, ein Vertreter des Unternehmens sei zu einem "kürzlichen Besuch" in Kiew gewesen. Auf Anfrage von AFP erklärte ein Sprecher von BlackRock, der letzte offizielle Besuch des Unternehmens in der ukrainischen Hauptstadt habe am 5. Mai 2023 stattgefunden (hier archiviert). Zudem traf Präsident Wolodymyr Selenskyj Vertreter der Unternehmen BlackRock und JP Morgan auf der Jahreskonferenz des Weltwirtschaftsforums 2024 in Davos (hier archiviert).
BlackRock gehört kein Land in der Ukraine
BlackRock erklärte gegenüber AFP, Geschäftsführer Fink habe keine solche Aussage getätigt. "Das ist komplett falsch", schrieb ein Unternehmenssprecher am 22. August 2024. "BlackRock Inc. gehört keinerlei Land in der Ukraine."
Der Ukrainische Agrobusiness Club (UCAB), eine Interessenvertretung der führenden Unternehmen im ukrainischen Agrarsektor, erklärte ebenfalls, keine Kenntnis von einem solchen Kauf zu haben. "Wir haben von nichts dergleichen gehört", schrieb der Sprecher des UCAB-Landausschusses in einer E-Mail vom 22. August 2024 an AFP.
Experten bestätigten, dass BlackRock kein Land in der Ukraine gehört, andere ukrainische Vermögenswerte jedoch Eigentum des Unternehmens sind. "Nach unseren Recherchen über große Landpachtverträge in der Ukraine, die wir in unserem Bericht 'War and Theft, the Takeover of Ukraine's Agricultural Land' [Krieg und Diebstahl, die Übernahme landwirtschaftlicher Flächen der Ukraine, Anm. d. Red.] vorgestellt haben, gehört BlackRock kein Land in der Ukraine", erklärte Frederic Mousseau, Direktor des Oakland Institute, einer US-Denkfabrik, in einer E-Mail an AFP am 22. August 2024 (hier archiviert). Das Institut hat mehrere Berichte über die Landreform in der Ukraine veröffentlicht (hier archiviert).
Die Privatisierung landwirtschaftlicher Flächen habe im Jahr 2021 begonnen, erläuterte Mousseau und führte weiter aus, dass jedoch keinem einzelnen Investoren auf diese Weise 47 Prozent der gesamten Landmasse des Landes gehören könnten.
"BlackRock gehört ein Teil der ukrainischen Schulden in Form von Eurobonds, wodurch das Unternehmen Einfluss auf das Land hat", erklärte Mousseau. "Die Ukraine wurde von ihren Gläubigern zu einem drastischen Strukturanpassungsprogramm gezwungen, das auf die Privatisierung aller Wirtschaftssektoren abzielt."
AFP hat bereits Behauptungen widerlegt, wonach die Ukraine Schwarzerde in Lkw nach Polen exportiere oder auch, dass die Ukraine ihr Land an westliche Firmen verkauft habe, die der Familie von George Soros gehörten sowie Behauptungen, die Ukraine wolle die Leichen toter Soldaten als landwirtschaftlichen Dünger verwenden.
Fazit: BlackRock hat die Ukraine nicht aufgefordert, tote Soldaten nicht mehr zu begraben – die Aussage stammt von einem Satirekanal auf Telegram. Ein Unternehmenssprecher erklärte gegenüber AFP, dass die Aussagen falsch seien und BlackRock keine landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine gehörten.