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Nein, die neuen Corona-Impfstoffe führen nicht zur Sterilisation von Frauen
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- Veröffentlicht am 9. Dezember 2020 um 15:30
- Aktualisiert am 19. Dezember 2020 um 10:32
- 4 Minuten Lesezeit
- Von: Max BIEDERBECK, AFP Deutschland
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Auf Facebook haben Tausende User die Behauptung über angebliche Risiken des neuen Corona-Impfstoffs geteilt (etwa hier, hier, hier). Auch auf Telegram verbreitet sich die Aussage zur vermeintlichen Gefahr der Impfung für Frauen zehntausendfach (etwa hier, hier, hier).
Viele der Postings verlinken auf ein Video von Wolfgang Wodarg, seinerseits Arzt, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Anti-Corona-Aktivist. Wodarg behauptet, es gebe gefährliche Risiken aufgrund der Funktionsweise der Corona-Impfung.
Eine kurze Übersicht: Die Impfung versucht, das sogenannte Spike-Protein des Corona-Virus mit Hilfe von vorgefertigten Gen-Schnipseln (sog. mRNA) im Körper zu kopieren und dort auf diese Weise eine Immunreaktion zu erzeugen. Beim Spike handelt es sich um eine Art Rüssel auf der Hülle von Sars-CoV-2, mit der das Virus überhaupt erst an menschlichen Zellen andocken kann.
Darüber behauptet Wodarg aktuell: “Antikörper, die Spikes von Corona-Viren bekämpfen, bekämpfen auch möglicherweise Syncytin.” Er bezieht sich damit auf einen kleinen Teil eines speziellen Proteins, das sowohl im Virus-Spike als auch bei der Bildung von Plazenta während der Schwangerschaft vorkommt. Kurz: Eine Impfung gegen Corona könne in seinen Augen auch eine Immunreaktion gegen die eigene Plazenta auslösen. “Es kann sein, dass junge Frauen dann keine Kinder mehr kriegen”, behauptet Wodarg. Und sagt weiter: Wer ausschließen wolle, dass es dazu komme, müsse den Impfstoff erst länger beobachten. In einer weit geteilten Petition fordert Wodarg zusammen mit dem Ex-Pfizer Mitarbeiter Michael Yeadon auf dieser Grundlage sogar den “Stopp sämtlicher Corona-Impfstudien” (hier, hier).
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AFP hat am 7. Dezember beim Max-Planck-Institut für Biochemie nach der Syncytin-Behauptung gefragt. Der Leiter der Forschungsgruppe Immunregulation, Peter Murray, sagte in einem Telefonat: “Das ist reine Spekulation, die Ängste vor der Impfung auslösen kann.” Weiter erklärte er: “Die Wahrscheinlichkeit einer Immunreaktion durch den entwickelten Impfstoff gegen ein spezifisches körpereigenes Protein ist außerordentlich gering.” Der Körper verfüge über eine sehr effiziente und präzise Verfahrensweise, um fremde Proteine von körpereigenen Proteinen zu unterscheiden - das Abwehrsystem greife keine Proteine des eigenen Körpers an. Eine Ausnahme bildeten Autoimmunkrankheiten, die nicht mit dem Einsatz des Impfstoffs zusammenhängen und einen besonderen medizinischen Umstand darstellten.
Murray weiter: “Obwohl die Plazenta ein Protein namens Syncytin-1 enthält, von dem einige Leute meinen, dass es dem Virus-Spike-Protein ähnlich ist, sind ihre Strukturen unterschiedlich.” Grundsätzlich könnten in sehr seltenen Fällen Wechselwirkungen mit anderen Proteinen im Körper aufgrund genetischer oder immunologischer Veranlagung der Patienten auftreten. “Dies ist jedoch bei allen Impfungen der Fall und hat nichts damit zu tun, wie lange ein Impfstoff zuvor getestet wurde”, sagt Murray.
AFP hat am 7. Dezember auch Annette Beck-Sickinger zu den Behauptungen befragt. Sie leitet die Forschungsgruppe Biochemie und Bioorganische Chemie am zugehörigen Institut der Universität Leipzig. Auch sie sagte: “Das Spike-Protein und das angesprochene Protein in der Plazenta sind so unterschiedlich, dass eine Kreuzreaktion des Impfstoffs im Grunde unmöglich ist. Wenn überhaupt, könnte so etwas nur in einzelnen sehr seltenen Ausnahmefällen auftreten.”
Weiter erklärte die Forscherin: “Wenn diese Syncytin-Behauptung stimmen würde, müsste folglich jede Frau unfruchtbar sein, die sich zuvor mit Corona infiziert hat. Das ist aber nicht der Fall.” Frauen, die sich impfen lassen, würden dieselben Antikörper entwickeln, die man auch durch eine Corona-Infektion erhält.
Auch Tugce Aktas bezog gegenüber AFP am 3. Dezember Stellung zu den Behauptungen. Sie ist Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin und auf Viren spezialisiert. In einer E-Mail schrieb sie: “Damit das überhaupt passieren könnte, müsste das durch die Impfung hergestellte Spike-Protein bis ins Plazenta-Gewebe des Patienten gelangen.” Das aber sei aber im Grunde unmöglich, weil der verabreichte genetische Code-Schnipsel “extrem kurzlebig” sei und nicht dauerhaft in das Genom eines Menschen eingebaut werde. “Eine geimpfte Person hat dann ein Immungedächtnis gegen das Virus, aber wird das Spike-Protein nicht weiter im Körper tragen”, erklärte Aktas.
Schließlich wenden sich Forscher bereits öffentlich mit ähnlichen Erklärungen gegen die Behauptungen von Wodarg und Co. (etwa hier). Darunter auch Frederik Lermyte, Professor im Fachbereich Chemie der TU Darmstadt. Er schrieb auf Twitter: “Diese Behauptung hat keine Substanz. Es gibt keine Kontroverse. Es gibt keinen Whistleblower. Das ist Angstmacherei und der Versuch, Druck auf eine überlastete Regierungsbehörde und auf Politiker ohne wissenschaftliche Ausbildung auszuüben.” (Hier der ganze Thread)
Pfizer selbst schrieb in einer Stellungnahme an AFP Kanada am 8. Dezember: “Es gibt keine Daten, die darauf hindeuten, dass der Impfstoff von Pfizer/Biontech zu Unfruchtbarkeit führen kann. Es gibt falsche Behauptungen darüber, dass COVID-19-Impfstoffe aufgrund einer sehr kurzen Aminosäure-Anordnung im Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus Unfruchtbarkeit verursachen können, die mit dem Plazenta-Protein Syncytin-1 geteilt wird. Die Sequenz ist jedoch zu kurz - 4 gemeinsame Aminosäuren - um plausibel eine Autoimmunität auszulösen.” Darüber hinaus zeige ein Vergleich von Schwangerschaften mit und ohne Sars-CoV-2-Infektion, dass Corona keine Auswirkungen auf den Verlauf habe. ”Das entkräftet diese Theorie weiter”, erklärte Pfizer.
Wodarg und Yeadon selbst bringen auch keine Belege für ihre Vermutung vor. Sie stellen den Zusammenhang zwischen Impfung und Unfruchtbarkeit allein anhand des doppelten Auftauchens des Syncytin-Proteins auf. In ihrer Petition schreiben die beiden sogar selbst: “Es gibt keine Hinweise darauf, ob Antikörper gegen Spike-Proteine von SARS-Viren auch wie Anti-Syncytin-1 Antikörper wirken.”
Fazit: Die Behauptung zur angeblichen Gefahr einer Unfruchtbarkeit durch die Corona-Impfung lässt sich nicht halten. Das Argument, Antikörper könnten neben dem Virus auch Syncytin in der Plazenta angreifen, widerlegen unabhängig voneinander zahlreiche Expertinnen und Experten der Biochemie und Genetik. Lediglich in extrem seltenen Ausnahmefällen kann es bei Impfungen überhaupt zu einer Kreuzreaktion mit körpereigenen Proteinen kommen, auch diese seien aber im Fall der Corona-Impfung noch einmal unwahrscheinlicher. Dessen Spike-Protein ähnelt dem Protein in der Plazenta einfach zu wenig.
Update, 19.12.2020 - Rechtschreibfehler verbessert