
Dieser Artikel verbreitet irreführende Behauptungen auf Grundlage der Zahl an Impfdurchbrüchen
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- Veröffentlicht am 8. November 2021 um 15:19
- Aktualisiert am 8. November 2021 um 15:40
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
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Mehr als 1200 Facebook-User haben den Report24-Artikel seit dem 18. Oktober 2021 mit der irreführenden Behauptung geteilt. Auf Telegram erreichte der Artikel mehr als 4400 Nutzerinnen und Nutzer.
Die irreführende Behauptung: Report24 kommt im Artikel auf Grundlage von RKI-Daten über vermehrte Impfdurchbrüche und Todesfälle zu folgender Aussage: "Obwohl Politik, Big Pharma und Medien ständig behaupten, dass die Impfungen zwar nicht unbedingt vor einer Erkrankung an Covid-19 schützen, dafür jedoch die Zahl der kritischen Fälle und der Toten deutlich reduziere. Stimmt das? Offensichtlich wohl kaum."
Weiter heißt es: "Vor allem sollte man nicht die Nebenwirkungen der Corona-Impfungen vergessen. Da muss man sich fragen, ob man die ganzen Entzündungen der Herzmuskulatur und der Hirnschäden durch die Impfstoffe tatsächlich in Kauf nehmen soll, wenn es schlussendlich eigentlich gar keinen so großen Unterschied macht, ob man nun geimpft ist oder nicht."

Die aktuelle Behauptung zu den Impfdurchbrüchen reiht sich in eine Serie falscher oder irreführender Behauptungen von Report24 über Covid-Impfstoffe und die Pandemie ein (hier, hier, hier). AFP hat das Portal am 5. November um eine Stellungnahme zum aktuellen Artikel gebeten, eine Antwort gab es bis zur Veröffentlichung nicht.
Was ist ein Impfdurchbruch?
Der Impfschutz geben Covid-19 ist niemals 100-prozentig. Es gibt ein Restrisiko, sich trotz Impfung mit Covid-19 anzustecken. Stecken sich Geimpfte an, spricht das RKI von einem Impfdurchbruch.
Bis zum 4. November 2021 meldete das RKI 145.185 wahrscheinliche Impfdurchbrüche in Deutschland. Am 5. November waren 55,5 Millionen Menschen in Deutschland vollständig geimpft, was einer Impfquote von 66,7 Prozent entspricht. Somit gab es bisher bei etwa 0,3 Prozent der Geimpften einen Impfdurchbruch.
Echte Datenlage, irreführende Behauptung
Report24 beruft sich im Artikel auf den "wöchentlichen Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019" des RKI vom 14. Oktober 2021. Report24 berichtet korrekt, dass die Zahl der Impfdurchbrüche in der Bevölkerung steigt. Aus den Daten geht tatsächlich hervor, dass jeder fünfte Covid-Intensivfall über 18 Jahren und ein Drittel der Covid-Todesfälle bereits vollständig geimpft waren. Impfdurchbrüche sind in diesen Fällen laut RKI wahrscheinlich.
Darin sieht Report24 einen Beleg dafür, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 unwirksam seien und eine Impfung "gar keinen so großen Unterschied machen" würde.
Schwächere Immunantwort bei Älteren
Im Bericht zu den schweren Fällen erklärt das RKI, dass "ein geringer Anteil der hospitalisierten, auf Intensivstation betreuten beziehungsweise verstorbenen Covid-19-Fälle als Impfdurchbruch zu bewerten ist".
Denn die Zahlen der Todesfälle zeigten, dass 74 Prozent der Verstorbenen älter als 80 Jahre alt waren. Das RKI erklärt dazu weiter: "Das spiegelt das generell höhere Sterberisiko – unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe – für diese Altersgruppe wider."
Von 155 Todesfällen nach einem Impfdurchbruch waren nur zwei Menschen unter 60 Jahren. Auch auf den Intensivstationen lagen etwa doppelt geimpfte Patienten über 60 Jahren als zwischen 18 und 59 Jahren. Ältere doppelt geimpfte Menschen scheinen sich also auch häufiger als jüngere Menschen anzustecken.
Auf AFP-Nachfrage erklärte RKI-Sprecherin Ronja Wenchel am 1. November in einer E-Mail: "Generell schützen die Covid-19-Impfstoffe effektiv und anhaltend vor schweren Erkrankungen und Tod durch Covid-19 und reduzieren das Übertragungsrisiko. Im höheren Alter allerdings fällt die Immunantwort nach der Impfung insgesamt geringer aus und lässt mit der Zeit nach. Impfdurchbrüche treten vermehrt auf und es kommt häufiger zu schweren Krankheitsverläufen."
Dass die Immunantwort bei älteren Menschen nicht nur langsamer, sondern auch schwächer ausfällt, belegt auch eine Studie der Berliner Charité von August 2021. Die Forschenden hatten die Immunantwort von 71 Menschen im Durchschnittsalter von 81 Jahren mit 123 Gesundheitsmitarbeitenden im Durchschnittsalter von 34 Jahren verglichen. Sie kamen zum Ergebnis, dass die Immunantwort bei älteren Menschen fast so hoch sei wie bei jüngeren, aber bei einem kleinen Teil der Älteren "keine robuste Antikörper- und T-Zell-Reaktion" auslöste.
Steigende Impfdurchbrüche bei höherer Impfquote sind erwartbar
Der RKI-Bericht erklärt auch, warum sich die Impfdurchbrüche häufen: "Dass im Laufe der Zeit mehr Impfdurchbrüche verzeichnet werden, ist erwartbar, da generell immer mehr Menschen geimpft sind und sich Sars-Cov-2 derzeit wieder vermehrt ausbreitet. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, als vollständig geimpfte Person mit dem Virus in Kontakt zu kommen."
Aktuell breitet sich das Coronavirus in Deutschland wieder mehr aus.
Das RKI hat zu diesem Phänomen auch eine Informationsseite. Dort heißt es: "Wenn der Anteil der Geimpften in der Population steigt, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass unter allen Personen, die sich infizieren bzw. erkranken, mitunter Geimpfte betroffen sein können."
Und weiter: "Vereinfacht gesagt: Wenn alle Personen einer Population geimpft sind (Impfquote 100 Prozent), beträgt der Anteil der Impfdurchbrüche an den Erkrankten 100 Prozent (wenn ein Impfstoff nicht zu 100 Prozent wirksam ist)."
Impfwirksamkeit nach wie vor hoch
Der RKI-Bericht kommt mit Berücksichtigung der aktuellen Impfdurchbrüche zum Schluss: "Zusammengefasst bestätigen die Anzahl der wahrscheinlichen Impfdurchbrüche sowie die nach der Screening-Methode geschätzte Wirksamkeit der eingesetzten Impfstoffe die hohe Wirksamkeit aus den klinischen Studien."
Die konkrete Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe ist in diesem AFP Faktencheck ausführlich erklärt.
Sars-Cov-2-Mutationen können laut RKI den Impfschutz dabei beeinflussen. Daten belegen aber, dass Impfungen weiterhin gegen die existierenden Varianten wirksam sind.
Auf der RKI-Seite heißt es, dass der Impfschutz bei den Sars-Cov-Varianten lediglich "gering bis mäßig" verringert sei.
Eine im Juli 2021 im "New England Journal of Medicine" erschienene Studie kam zum Ergebnis, dass es unter den mit Pfizer/Biontech doppelt Geimpften bei der Virus-Variante Delta 88 Prozent weniger symptomatische Infektionen als in der Kontrollgruppe gab. Bei der ursprünglichen Virus-Variante Alpha lag die Wirksamkeit von zwei Dosen bei 93,7 Prozent (mehr dazu hier).
Dieser Infektionsschutz nimmt laut RKI nicht nur mit dem Alter, sondern auch bei jüngeren Menschen mit der Zeit ab. Besonders bei der Verhinderung von Infektionen ohne Krankheitssymptome wie etwa Husten oder Fieber zeigte sich, dass der Impfschutz nach der Impfung nach Monaten schwächer wurde. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommision (Stiko) für Menschen über 70 Jahren frühestens sechs Monate nach Erlangen des vollständigen Impfschutzes eine Auffrischungsimpfung.
Diese Booster-Impfung frischt den Impfschutz wieder auf (Seite 41). Eine Studie des israelischen Gesundheitsministeriums mit 1,1 Millionen Teilnehmenden über 60 Jahren zeigte, dass nach einer Auffrischungsimpfung 11,3 Mal weniger Infektionen aufgetreten sind ohne eine Auffrischungsimpfung. Die Booster-Impfung erhöhe den Impfschutz wieder auf 95 Prozent.
Impfung macht einen Unterschied
Auch wenn eine Covid-Impfung keine Garantie für einen absoluten Schutz vor einer Corona-Infektion ist, bietet sie einen guten Schutz für Geimpfte, der durchaus einen Unterschied macht.
Das RKI erklärt dazu auf seiner Homepage: "In der Summe ist das Risiko, dass Menschen trotz Impfung PCR-positiv werden und das Virus übertragen, auch unter der Deltavariante deutlich vermindert."
Auch die österreichische Gesundheitsagentur (AGES) erklärt mit Blick auf die Impfdurchbrüche im eigenen Land: "Der prozentuale Anteil an Impfdurchbrüchen steigt, die Anzahl an Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt sinkt aber durch die Schutzwirkung der Impfung."
Das bestätigte auch Dr. med. Christoph Spinner, Infektiologe an der Technischen Universität München, gegenüber AFP in einer E-Mail am 6. November 2021: "Aktuell sind die SARS-CoV-2 Inzidenzen bei Ungeimpften in Deutschland etwa 10-Mal so hoch wie bei Geimpften, was die Schutzwirkungen der Impfung im Alltag nachvollziehbar illustriert."
Die Covid-Impfung macht wie bereit beschrieben auch für den Krankheitsverlauf einen Unterschied. Laut einem wissenschaftlichen Artikel im Fachmagazin "The Lancet" vom 5. Mai 2021 schützt eine vollständige Biontech/Pfizer-Impfung zu 97,2 Prozent gegen Sars-Cov-2-bedingte Krankenhausaufenthalte und zu 96,7 Prozent gegen Sars-Cov-2-bedingte Todesfälle.
Auch eine kürzlich im "The Lancet" erschienene Studie eines Forschungszentrums im Kaiser Permanente-Kliniken-Netzwerk in Südkalifornien bestätigt einen 93-prozentigen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, der bis zu sechs Monate bestand.
Auch Spinner bestätigt, dass die Schutzwirkung nach der Impfung über die Zeit allerdings abnimmt, und das vor allem bei älteren Menschen. "Wegen der abnehmenden Schutzwirkung im Laufe der Zeit spielen Boosterimpfungen eine wichtige Rolle, auch weil Sie das Risiko der Infektion um 95 Prozent reduzieren", erklärte er.
Aber auch Ungeimpfte profitieren davon, wenn andere sich Impfen lassen. Die Impfung reduziert nämlich die Wahrscheinlichkeit, andere zu infizieren, wie etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hier erklärt.

Fazit: Die Behauptung, dass die Impfdurchbrüche nahelegten, dass eine Impfung im Infektionsgeschehen kaum einen Unterschied mache, ist irreführend. Die Daten zeigen zwar, dass sich Impfdurchbrüche aktuell mehren, sie aber immer noch nur einen kleinen Teil der Geimpften betreffen. Die Wirksamkeit der Impfungen selbst ist nach wie vor hoch. Zwar lässt ihre Wirksamkeit nach einigen Monaten nach, der Schutz kann aber mit einer Auffrischungsimpfung wieder erneuert werden.