
Vorsicht vor diesen Gerüchten zu Kindesentführungen in Deutschland
- Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
- Veröffentlicht am 14. Oktober 2021 um 14:50
- Aktualisiert am 14. Oktober 2021 um 15:12
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
Copyright © AFP 2017-2025. Für die kommerzielle Nutzung dieses Inhalts ist ein Abonnement erforderlich. Klicken Sie hier für weitere Informationen.
Hunderte Facebook-User haben die Entführungsbehauptung von Eberswalde, Brandenburg, geteilt.
Die Falschbehauptung: Im Posting heißt es: "Vorsicht ist geboten heute morgen ist ein weißer Transporter vorgefahren und hatte versucht ein Schüler in das Auto zu ziehen bitte achte alle auf eure Kinder und gibt ihnen noch Mal mit nicht mit fremden zu sprechen oder stehen zu bleiben. das könnte flüchten und die Polizei sucht nach den Tätern"
Es gibt aktuell zahlreiche Behauptungen dieser Art auf Social Media. In derselben Brandenburger Region der Eberswalder Behauptung soll jemand vor einer Grundschule in Templin versucht haben, ein Kind in einen hellen Transporter zu locken. Der Facebook-Post wurde mittlerweile gelöscht, aber eine Lokalzeitung berichtete hier. Einen weiteren Fall soll es mit einem schwarzen SUV und Hundewelpen als Lockmittel in Heddesheim/Ladenburg in Baden-Württemberg gegeben haben. Ein vierter Fall soll in Münsterbusch bei Aachen in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben. Diesmal mit schwarzem Kleinwagen und einem neuen Iphone als Lockmittel. Ähnlich auch in Kleineutersdorf in Thüringen. In Wermsdorf, Sachsen, hingegen soll angeblich ein Mann aus einem weißen Transporter mit der Aufschrift "Taxi" heraus Mädchen ansprechen. In allen Fällen sei die Polizei informiert. AFP hat geprüft, was an diesen Fällen dran ist.

Immer wieder kursieren Gerüchte über vermeintliche Kindesentführungen in Deutschland. So hat AFP bereits einen Fall in Sachsen-Anhalt als Falschmeldung identifiziert. So auch die Faktencheck-Organisation Correctiv mehrfach hier, hier, hier. Auch die aktuellen Behauptungen reihen sich in diese teilweise falschen und teilweise unbelegten Erzählungen angeblicher Kindesentführungen ein.
Erster Fall: Falschmeldung in Eberswalde, Brandenburg
Im Eberswalde-Post ist von einer Westend-Schule die Rede, vor der Unbekannte einen Schüler ins Auto zu ziehen versucht haben sollen. Diesen Schulnamen gibt es allerdings nicht mehr. Die Grund- und Oberschule wurde bereits im Jahr 2008 in "Karl Sellheim Oberschule" umbenannt. AFP hat den dortigen Schulleiter nach der angeblich versuchten Kindesentführung gefragt. Am 7. Oktober erklärte Marcel Miserius in einem Telefonat mit AFP: "Das sind Fake News!" Er selbst sei den Hinweisen nachgegangen und habe von den Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern seiner Schule keine Beschwerde bekommen.
Laut Facebook-Post sei die Polizei auf der Suche nach dem Verdächtigen. Das stimmt ebenfalls nicht. AFP hat am 6. Oktober bei der zuständigen Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder) nachgefragt. Roland Kamenz, Sprecher der Polizei, schrieb in einer E-Mail: "Der Polizeiinspektion Barnim liegen aktuell keine Erkenntnisse zu dem von Ihnen benannten Sachverhalt vor."
Zweiter Fall: Unklarheiten in Templin, Brandenburg
In Templin soll ein Junge auf dem Weg zur Goethe-Schule von einem Mann angesprochen worden sein. Dieser habe versucht, den Jungen dazu zu bringen, in einen hellen Transporter einzusteigen. Der Junge lief aber weiter zur Schule. Die berichtende Lokal-Zeitungfand keine konkreten Hinweise für den Vorfall.
Die Schulleiterin der Goethe-Schule in Templin sagte gegenüber AFP in einem Telefonat am 6. Oktober: "Das ist falsch." Dieser Vorfall habe nicht stattgefunden.
Näheres erklärte Berbel Cotte-Weiß, ebenfalls Sprecherin der zuständigen Polizeidirektion Ost gegenüber AFP: "Der Sohn erzählte den Vorfall seinem Vater glaubhaft." Doch als der Junge mit der Polizei sprach, seien "Unregelmäßigkeiten in der Aussage" aufgefallen. "Wir gehen der Sache nach, wenn es angezeigt wird", sagte Cotte-Weiß.
Sie erklärte auch: "Seit der Entführung von Natascha Kampusch im Jahr 2006 und seit wir die sozialen Medien haben, hören wir immer wieder von solchen Geschichten – auch mit weißen Transportern. Wenn Eltern besorgt sind, teilen sie so etwas und die Stimmung heizt sich auf. Das macht der Polizei viel Arbeit. Im Zusammenhang mit solchen Posts haben wir in verschiedenen Dienststellen immer wieder Anrufe, dass das auch an verschiedenen Kitas passiert sein soll. In den letzten Jahren hat sich nicht ein einziger Fall bestätigt."
Dritter Fall: Unklarheiten in Heddesheim/Ladenburg, Baden-Württemberg
Einen ähnlichen Fall soll es laut einem Facebook-Post auch in Heddesheim und Ladenburg in Baden-Württemberg gegeben haben. Dort sollen zwei Männer versucht haben, Kinder mithilfe von Hundewelpen in einen schwarzen SUV zu locken. Auch dort sei die Polizei informiert.
Die Polizeisprecherin des Polizeipräsidiums Mannheim, Claudia Strickler, schrieb am 7. Oktober in einer E-Mail: "Es trifft zu, dass die Polizei Ende September Kenntnis davon erhielt, dass eine unbekannte Person ein Schulkind in Heddesheim auf dem Nachhauseweg angesprochen haben soll und mit dem Verweis auf Hundewelpen zu seinem Fahrzeug habe locken wollen. Im Rahmen weiterer Ermittlungen stellte sich heraus, dass sich der Sachverhalt, wie er zur Anzeige gebracht wurde, so nicht zugetragen hatte."
Nach derzeitigem Kenntnisstand sei das Kind in Heddersheim weder von einer fremdem Person in verdächtiger Weise angesprochen worden, noch sei es zu einem Auto mit Hundewelpen gelockt worden, erklärte die Polizeisprecherin.
Sie erklärte weiter: "Grundsätzlich nehmen wir bei der Polizei jede Meldung betreffend das 'verdächtige Ansprechen von Kindern' ernst und nehmen immer eine genaue Bewertung der Situation vor. Mitunter hat sich beim Anhören der Kinder oder den Sorgeberechtigten auch schon herausgestellt, dass angeblich erlebte Situationen nur erfunden wurden."
Vierter Fall: Drei Versionen in Kleineutersdorf, Thüringen
Laut mehreren Facebook-Posts soll in Kleineutersdorf in Thüringen ein Junge von einem Mann angesprochen worden sein. Der Mann habe das Kind in ein Auto locken wollen, doch der Junge sei geflohen. Der Mann in Kapuzenpullover, Sonnenbrille und Corona-Maske soll noch hinterhergerannt, dann aber geflüchtet sein. Die Polizei sei informiert.
Die Polizeiinspektion Jena teilte auf AFP-Anfrage mit, tatsächlich am 6. Oktober auf solch einen Vorfall aufmerksam gemacht worden zu sein. Polizeisprecher Daniel Müller erklärte in einem Telefonat am 14. Oktober: "Bei der Anhörung blieb der Junge dabei, dass der Vorfall so passiert sein soll. Aber es gibt von ihm drei erzählte Versionen des gleichen Vorfalls. Es wird bezweifelt, dass es so stattgefunden hat."
Müller erklärte weiter, dass der Facebook-Post zu weiteren "Trittbrett-Sachverhalten" in Thüringen geführt habe. In der Umgebung seien kurz darauf ähnliche Vorfälle gemeldet worden. "Aus einem Fall werden so ganz viele", sagte er. Die Polizei nehme diese Fälle ebenfalls ernst und prüfe sie.
Einer der Fälle habe sich etwa bereits als Verkehrszählung eines örtlichen Verkehrsunternehmens herausgestellt. Ein Mitarbeiter habe dabei unter anderem auch Kinder angesprochen und gefragt, wohin sie fahren wollten. Dies sei nötig, um die Linienführung der Busse anpassen zu können.
Fünfter Fall: Ermittlungen in Münsterbusch, Nordrhein-Westfalen
Der Fall in Münsterbusch kursiert vor allem wegen einer Meldung der lokalen Nachrichtenseite "Mein Stolberg" auf Facebook. Demnach soll ein unbekannter Mann aus einem schwarzen Kleinwagen heraus ein Kind auf dem Schulweg angesprochen haben. Der Mann soll versucht haben, den Schüler des Goethe Gymnasiums mit einem versprochenen IPhone ins Auto zu locken. Die Polizei würde auch dort bereits ermitteln.
Der Aachener Polizeisprecher Andreas Müller bestätigte auf AFP-Anfrage vom 7. Oktober am Telefon, dass es zu diesem Vorfall eine Anzeige gebe. Auch Nachfrage am 12. Oktober würde in diesem Fall noch immer ermittelt.
Sechster Fall: Keine Beweise in Wermsdorf, Sachsen
Im Fall in Wermsdorf gibt es nur sehr wenige Informationen. Laut Posting soll ein weißer Transporter im Ort herumfahren, auf dem "Taxi" stehe. Der Fahrer soll Mädchen ansprechen und fragen, wohin sie denn wollten. Die Polizei wisse Bescheid.
Polizeisprecher Chris Graupner von der Polizeidirektion Leipzig erklärte in einem Telefonat mit AFP am 13. Oktober: "Uns wurde das wegen eines Facebook-Posts gestern bekannt, aber wir haben keinerlei Feststellungen, die das bestätigen. Es gibt auch keine Anzeigen, Fälle oder Aussagen, die strafrechtlich relevant sind. Es gibt nur diesen Post, auf den viele aufspringen." Die Polizei prüfe den Fall sorgfältig.
Fazit: Die Polizei ermittelt in Eberswalde nicht wegen einer versuchten Kindesentführung. Auch die Fälle in Templin und Heddesheim/Ladenburg werfen bei der Polizei Zweifel auf. Seit es soziale Medien und den Fall Natascha Kampusch gebe, würde die Polizei viele solcher angeblichen Entführungen nachgehen. In den allermeisten Fällen würden diese sich als falsch herausstellen.