Doch, Corona-Impfstoffe sind klinisch geprüft und die Haftung ist geregelt

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  • Veröffentlicht am 2. September 2021 um 14:31
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  • Von: Saladin SALEM, AFP Deutschland
Tausende User haben seit Ende August eine Behauptung auf Facebook geteilt, wonach Bürgerinnen und Bürgern angeblich keine geprüften klinischen Studien zu Corona-Impfstoffen angeboten wurden. Auch eine Haftung für potenzielle Nebenwirkungen gebe es nicht. AFP-Recherchen zeigen allerdings: Klinische Studien existieren. Auch die Haftung ist in Deutschland gesetzlich durchaus geregelt.

Tausende Facebook-Nutzerinnen und Nutzer haben seit dem 29. August die Behauptung zur mangelnden Absicherung der Impfung geteilt. (hier, hier). Auch auf Twitter verbreitet sich der Beitrag (hier, hier).

Die Falschbehauptung: Es seien keine geprüften klinischen Studien zur Impfung angeboten worden. Auch eine "Haftung, wenn etwas falsch läuft", gebe es nicht. Stattdessen habe es Donuts, Burger, Pommes, Bier, Lapdances oder Lotterie-Tickets gegeben.

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Facebook-Screenshot: 31.08.2021

Tatsächlich warben Impfzentren in den vergangenen Monaten immer wieder mit besonderen Kampagnen und Angeboten für eine Impfung. Weltweit sollten Aktionen Anreize für Bürgerinnen und Bürger schaffen, sich impfen zu lassen. Von Getränken, Snacks oder Mahlzeiten als Belohnung ist häufig die Rede. Darunter auch Gutscheine für Bier oder Eiscreme.

Gemeinden und Unternehmen boten unter anderem auch Bratwürste, Burger, Donuts oder Pommes zur Impfung an. Auch Lotterien für Geimpfte, wie sie bereits in den USA umgesetzt wurden, will nun ein Hamburger Online-Lotto-Anbieter in Deutschland einführen.

Aus den USA stammen Berichte von Stripclubs, die Alkohol oder Tanzdarbietungen als Anreiz für die Impfung anboten (hier, hier).

Die Impfstoffe sind in klinischen Studien geprüft

Auf Facebook heißt es, geprüfte klinische Studien zur Impfung seien nicht vorhanden. AFP hat solche Behauptungen bereits in einem vergangenen Faktencheck im Juni recherchiert.

Es gibt in der EU vier Covid-Impfstoffe, die als "bedingt zugelassen" zur Verfügung stehen: Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson. Diese Impfstoffe haben laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Stand 31. August, eine auf ein Jahr befristete Zulassung und müssen bestimmte Auflagen erfüllen.

Das PEI schreibt unter anderem: "Vom Zulassungsinhaber wird verlangt, dass er bestimmte Verpflichtungen (laufende oder neue Studien und in einigen Fällen zusätzliche Aktivitäten) in der vorgegebenen Zeit erfüllt, um umfassende Daten vorlegen zu können, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz weiterhin positiv ist." Einzelne Phasen der üblichen Impfstoffentwicklung dürften dabei nicht ausgelassen werden.

Die schnelle Zulassung der Impfstoffe war durch ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren ermöglicht worden, wobei die zu prüfenden Impfstoffe viele sonst nacheinander stattfindende Phasen gleichzeitig durchlaufen. Die Daten müssten dabei trotzdem eine "ausreichende Evidenz liefern" und "belastbar" sein, heißt es auf der Seite des PEI. Die Zeit werde zwar verkürzt, das Sicherheitsniveau bleibe aber genauso hoch wie bei einer üblichen Zulassung.

Bevor ein Zulassungsantrag gestellt werden kann, müssen die Impfstoffe demnach präklinische und klinische Studien durchlaufen, in denen ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei Tieren und später auch ihre Verträglichkeit bei Menschen geprüft wird.

Tatsächlich gibt es zu allen vier Impfstoffen abgeschlossene klinische Studien. Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags fasste den Forschungsstand bereits am 4. März 2021 hier ausführlich zusammen. Auch der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) fasste den Stand der Impfstoffentwicklung am 31. August zusammen.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA teilte 23. August mit, sie habe den ersten Corona-Impfstoff vollständig für Menschen ab 16 Jahren zugelassen. Die Behörde erklärte, der Biontech/Pfizer-Impfstoff erfülle die hohen Standards zur Sicherheit, Wirksamkeit und Produktionsqualität. "Die Öffentlichkeit und die Ärzteschaft können darauf vertrauen, dass wir diesen Impfstoff zwar schnell zugelassen haben, dass er aber in vollem Umfang unseren hohen Standards für Impfstoffe in den USA entsprach," erklärte Peter Marks, Leiter des FDA Center for Biologics Evaluation and Research.

Langzeitstudien, die auf mehrere Jahre angelegt sind, gibt es zu mRNA- und Vektor-Covid-19-Impfstoffen aktuell noch nicht. Laut dem österreichischen Molekularbiologen und Autoren populärwissenschaftlicher Bücher, Martin Moder, und anderen Experten reicht es allerdings, eine außergewöhnlich große Versuchsgruppe über zwei Monate zu beobachten, um mögliche Langzeitschäden der Impfungen abschätzen zu können. In einem Video für die österreichische Akademie der Wissenschaften erklärt Moder dies genauer.

Der Impfstoffforscher Dr. Torben Schiffner von der Universität Leipzig bestätigte am 16. Juni gegenüber AFP die Korrektheit der Ausführungen Moders im Video. Er erklärte in einer E-Mail außerdem: "Nach einer Impfung erreicht die Immunantwort ihren Höhepunkt nach circa zwei Wochen, sie nimmt anschließend wieder ab. Wenn es in seltenen Fällen nach einer Impfung zu Komplikationen kommt, treten diese daher fast immer während der ersten zwei Monate auf."

Prof. Dr. Alena Buyx, Medizinethikerin an der Technischen Universität München und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, zitierte am 3. Juni in der Talkshow von Markus Lanz einen US-Forscher, um diese Erklärung zu stützen: "In der Geschichte der Impfstoffe hat es noch nie Langzeitwirkungen gegeben, die nicht schon in den ersten zwei Monaten aufgetreten sind." Die Langzeitwirkungen fallen laut Buyx wegen ihrer Seltenheit lediglich erst in der statistischen Auswertung Jahre später auf. (Ab Minute 42)

Der Immunologe Prof. Carsten Watzl von der Technischen Universität äußert sich in einem Video für die Bundesregierung ähnlich. Die klinischen mRNA-Studien hätten für eine Einschätzung ausgereicht. Er ergänzt: "Was klinische Studien nie können, sind noch seltenere Ereignisse entdecken, die nur bei einem in 100.000 oder einem bei einer Million Geimpften auftreten. Das bedeutet aber auch, dass die Impfung für die meisten immer noch sehr viel sicherer ist, als sich dem Risiko der Coronavirus-Infektion auszusetzen."

Laut der Datenbank Our World in Data, die Impfdaten von internationalen Behörden sammelt, wurden bis zum 1. September 2021 weltweit 39,6 Prozent der Menschen mindestens einmal geimpft.

Haftet niemand, wenn Impfschäden auftreten?

Das Bundesministerium für Gesundheit hat für rechtliche Fragen rund um die Impfung eine Informationsseite eingerichtet. Dort heißt es: "Wer durch eine von der obersten Landesgesundheitsbehörde öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält auf Antrag eine Versorgung vom Land." Dies sei über das soziale Entschädigungsrecht geregelt.

Je nach Fall komme auch eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmens in Betracht. Außerdem könnten sich weitere Haftungen aus dem Arzneimittelrecht, dem Produkthaftungsgesetz sowie den allgemeinen Haftungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergeben.

Diese geltenden Haftungsregelungen würden auch für die Covid-19-Impfstoffe zutreffen. Darauf verweist auch ausdrücklich der § 60 des gültigen Infektionsschutzgesetzes. Sollten Arbeitnehmende als Impfreaktion erkranken und arbeitsunfähig sein, besteht in der Regel zunächst auch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, heißt es auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums.

Die Übernahme von Behandlungskosten möglicher Impfschäden durch die Krankenkasse war ebenfalls bereits Thema eines Faktenchecks von AFP. Eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse bestätigte bereits am 25. Januar per E-Mail: "Treten in Folge der Impfung gegen das Coronavirus in Einzelfällen Impfschäden auf, übernehmen wir die entsprechenden Behandlungskosten selbstverständlich über die Versichertenkarte."

Wenn jemand aufgrund der Corona-Impfung einen Folgeschaden erleide, kläre die Techniker Krankenkasse mögliche Schadensersatzansprüche direkt mit den Behörden und den Impfstoffherstellenden oder gegebenenfalls anderen Kostentragenden ab. Außerdem hätten die Versicherten unter Umständen Haftungsansprüche auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes, so die Sprecherin.

Fazit: Tatsächlich haben lokale Behörden Impfungen mit einigen ungewöhnlichen Angeboten beworben. Klinisch geprüft sind die Impfstoffe trotzdem. In Deutschland besitzen vier Vakzine eine bedingte Zulassung, welche auf ein Jahr befristet ist. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat bereits den ersten Impfstoff vollständig zugelassen. Die Haftung bei auftretenden Impfschäden ist zudem über das soziale Entschädigungsrecht geregelt.

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