
Video von gestrandeten Walen hat nichts mit Erdbeben in Russland im Juli 2025 zu tun
- Veröffentlicht am 5. August 2025 um 14:46
- 6 Minuten Lesezeit
- Von: Sachin BAGHEL, AFP Indien
- Übersetzung und Adaptierung: Johanna LEHN , AFP Deutschland
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Fünf Belugawale sind in einem Video an der Wasserkante eines Meeres gestrandet. "Kurz vor dem Erdbeben der Stärke 8,7 auf der russischen Halbinsel Kamtschatka ereignete sich ein Naturereignis, das in der Region Aufmerksamkeit erregte", hieß es in einem Facebook-Beitrag vom 30. Juli 2025, in dem das Video geteilt wurde. "Fünf Weißwale (Beluga) wegen Flut an Land." In einem Telegram-Beitrag vom selben Tag hieß es wiederum, die Wale seien nicht vor, sondern aufgrund des Tsunamis gestrandet: "Auf Kamtschatka selbst wurde infolge des Tsunamis eine ganze Familie von fünf Belugas an Land gespült."
Am 30. Juli 2025 hat eines der schwersten jemals aufgezeichneten Erdbeben den dünnbesiedelten Fernen Osten in Russland getroffen und bis zu vier Meter hohe Tsunamiwellen im Pazifikraum ausgelöst. Nach dem Beben der Stärke 8,8 vor der russischen Halbinsel Kamtschatka riefen die Behörden in zahlreichen Ländern an diesem Tag Tsunami-Warnungen aus, neben Russland und Japan auch Länder in Nord- und Südamerika. Das Beben und die Tsunamis blieben aber offenbar weitestgehend ohne schwerwiegende Folgen.
Auch Welt TV, der Sender der Zeitung "Welt", verwendete in einer Nachrichtensendung über das Erdbeben und die Tsunami-Warnungen das Video der gestrandeten Belugawale. "Fünf Belugawale an Land gespült", sagt eine Nachrichtensprecherin in dem Video, das am 30. Juli 2025 auf dem Youtube-Kanal von Welt veröffentlicht wurde (hier archiviert). "Für diese Filmemacher die Vorboten einer Naturkatastrophe", führt sie darin weiter aus. Als Quelle ist im Video der X-Account "HustleBitch" eingeblendet. Der Betreiber schrieb im Beitrag vom 30. Juli 2025 mit dem Video, die Wale seien am Vortag des Erdbebens angespült worden. Der Post wurde mit einer Community Note versehen, laut der das Video jedoch aus dem Jahr 2023 stamme.
Auch andere Medien verwendeten das Video in aktueller Berichterstattung über das Erdbeben, so zum Beispiel der ecuadorianische Radiosender Radio Centro oder auch das marokkanische Medium Morocco World News. Die Behauptung kursierte auch auf anderen Sprachen wie Englisch, Griechisch und Hindi.

Das Video ist jedoch zwei Jahre alt und hat nichts mit dem Erdbeben in Russland im Juli 2025 zu tun.
Eine umgekehrte Bildsuche von Standbildern des Videos führte zu einer längeren Version, die am 13. August 2023 auf dem Youtube-Kanal des Lokalmediums Kamchatinfo.com veröffentlicht wurde (hier archiviert). Die kyrillische Überschrift lautet übersetzt: "Die Bewohner Kamtschatkas retteten eine Familie von Belugas vor dem Tod."
In der Community Note unter dem X-Beitrag, der von "Welt" als Quelle eingeblendet wurde, findet sich zudem ein Link zu einem Artikel der englischsprachigen Nachrichtenwebsite Newsweek mit Sitz in New York City. Diesem Artikel vom 15. August 2023 zufolge sind die Wale zwar nahe der Flussmündung des Flusses Tigil am Strand der Kamtschatka-Halbinsel gestrandet – dort ereignete sich auch das Erdbeben im Juli 2025. Von einem Tsunami ist darin jedoch nicht die Rede. Als Quelle verweist der Artikel ebenfalls auf das Video des Lokalmediums Kamchatinfo.com.

Dem Artikel von Newsweek zufolge retteten die Fischer die vier ausgewachsenen Belugawale und das Kalb, indem sie Meerwasser über sie gossen und sie mit Fisch fütterten, bis die Flut zurückkehrte. Auch das russische Medium Komsomolskaja Prawda berichtete am 14. August 2023 über die gestrandete Walfamilie und ihre Rettung.
Wale können wegen Desorientierung stranden
In einigen der aktuell geteilten Beiträge wurde behauptet, die Belugawale seien durch die Tsunamiwellen angespült worden. In anderen Beiträgen hieß es, sie seien vor dem Erdbeben gestrandet.
Tamara Narganes Homfeldt, Meeresbiologin bei Whale and Dolphin Conservation (WDC), einer globalen Organisation zum Schutz von Walen und Delfinen, erklärte auf AFP-Anfrage am 4. August 2025, dass es keinen nachgewiesenen Zusammenhang für beide Szenarien gibt: "Aufgrund eines Tsunamis gibt es keine dokumentierten Fälle von Strandungen." Im Falle von Erdbeben führte sie aus, sei es "nicht auszuschließen, dass ein Erdbeben Walstrandungen verursachen kann, doch bewiesen ist es auch nicht".
Narganes Homfeldt erklärte: "Ein ozeanisches Erdbeben beziehungsweise starke seismische Aktivität verursacht jedoch zum einen eine Veränderung des magnetischen Felds und zum anderen Unterwasserlärm." Dadurch könnten Wale desorientiert sein und schließlich stranden. So gebe es viele Fälle, bei denen Wale wegen militärischer Einsätze oder Übungen und der Verwendung von Sonar strandeten.
Erdbeben erhöhen Wahrscheinlichkeit von Walstrandungen nicht
"Für Erdbeben gibt es hingegen nur ein paar wenige Fälle von Walstrandungen, bei denen man sich aber nicht zu 100 Prozent über einen Zusammenhang sicher ist", erklärte Narganes Homfeldt. So würde beispielsweise spekuliert, dass ein Beben in Sri Lanka im Jahr 2023 für die Strandung von Grindwalen verantwortlich gewesen sein könnte. Narganes Homfeldt führte zudem eine Studie aus dem Jahr 2018 an (hier archiviert), die für die Küsten der US-Bundesstaaten Washington und Oregon zu dem Ergebnis kam, dass Erdbeben die Wahrscheinlichkeit von Walstrandungen nicht erhöht.
Auf diese Studie verwies auch Torsten Schlurmann, Vorstand und Geschäftsführer des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Leibniz Universität Hannover. Zusammen mit Ursula Siebert, Anita Gilles und Joseph Schnitzler, Expertinnen und Experte für Meeressäuger an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, erklärte er auf AFP-Anfrage am 4. August 2025, laut der Studie gebe es "keinen belastbaren Effekt von Offshore-Erdbeben – weder unmittelbar davor noch danach."
Im offenen Meer könne es "ausgeschlossen werden, dass marine Säuger durch einen Tsunami physisch in Mitleidenschaft gezogen werden", erklärten die Forscherinnen und Forscher. In Küstennähe seien Strandungen möglich, "aber marine Säuger sollten im offenen Gewässer durchaus in der Lage sein, diesen Bedingungen zu trotzen". In wenigen Fällen sei beobachtet worden, dass Delfine rund 22 Sekunden vor dem spürbaren Erdbeben im US-Bundesstaat Virginia im Jahr 2011 "ihr Verhalten änderten" und unter anderem in Staffelformation geschwommen seien, erklärte Schlurmann. "Es ist ferner belegt, dass terrestrische Lebewesen sehr wohl auf seismische Wellen reagieren können". Dennoch seien "viele Beobachtungen eher anekdotisch" und ein Kausalzusammenhang könne "nicht eindeutig belegt werden".
AFP hat bereits weitere Falschinformationen im Zusammenhang mit Erdbeben in Russland widerlegt.
Fazit: Ein Video von gestrandeten Walen steht nicht im Zusammenhang mit dem Erdbeben im Fernen Osten Russlands Ende Juli 2025. Die Walstrandung wurde im August 2023 auf der Halbinsel Kamtschatka gefilmt, wo sich auch das Erdbeben am 30. Juli 2025 ereignete. Dass vor oder nach Erdbeben und Tsunamis mehr Wale stranden würden, ist zudem wissenschaftlich nicht belegt.