Diese Fotos von Selenskyj-Graffitis sind manipuliert

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine kursieren zahlreiche Falschinformationen in den sozialen Medien, insbesondere über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Seit Mitte September 2023 werden Fotos geteilt, die angebliche Graffitis von Selenskyj als Kannibale an Gebäuden in Berlin und Paris zeigen sollen. Auch hätten zwei deutsche Medien und eine französische Zeitung darüber berichtet. Das ist jedoch falsch. Bei den Fotos handelt es sich um manipulierte Aufnahmen, wie AFP überprüft hat. Zudem haben die Medienhäuser erklärt, dass es sich bei den Beiträgen um gefälschte Artikel handelt.

"In Berlin und Paris tauchten Graffiti auf, auf denen Selenskyj zu sehen war, wie er seine Soldaten verspeiste. Es scheint, dass die allgemeine Welt im Westen zunehmend erkennt, wer und was Selenski ist", heißt es in einem Beitrag auf Facebook vom 16. September 2023. Darüber sind zwei Fotos zu sehen, die jeweils ein ähnliches Graffiti zeigen: Auf einer grünen Fassade ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu sehen, wie er in einen Arm beißt, auf dessen Ärmel eine ukrainische Flagge aufgenäht ist; darunter steht "Kannibale". Mit der Überschrift "Germany: Scandalous Graffiti in Berlin" (zu Deutsch: "Deutschland: Skandalöses Graffiti in Berlin") und einem Link zur Website der "Deutschen Welle" macht es den Anschein, als handele es sich um einen Beitrag dieses Mediums. In einem Beitrag auf Telegram wird zusätzlich ein Screenshot eines vermeintlichen Artikels der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über das Graffiti geteilt.

Auch das zweite Foto zeigt ein Graffiti von Selenskyj, diesmal am Knochen des Beins eines Soldaten nagend. Hier ist ebenfalls in der gleichen Schriftart, in diesem Fall auf Französisch, "Cannibale" zu lesen. Vor dem Gebäude ist neben anderen Straßenschildern das Schild des Pariser Vororts Montreuil zu sehen.

Ähnliche Beiträge werden zudem auf X (vormals Twitter) und Telegram geteilt. Die Behauptung kursiert auch auf Bulgarisch, Spanisch und Französisch.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 25. September 2023
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Telegram-Screenshot der Behauptung: 25. September 2023

 

 

Die Fotos sind jedoch manipuliert. Zudem handelt es sich nicht um die ersten gefälschten Bilder von anti-ukrainischer Straßenkunst. Zuvor kursierten bereits Fotos mit anderen Graffitis, die Selenskyj diskreditieren sollten und die von AFP als manipuliert eingeordnet werden konnten.

Um zu bestimmen, ob das Foto des grünen Gebäudes tatsächlich in Berlin aufgenommen wurde, hat AFP eine Bildrückwärtssuche mit der Browser-Erweiterung InVID/WeVerify vorgenommen. Dadurch ist AFP auf einen Faktencheck des schweizerischen Nachrichtenportals "20 Minutes" gestoßen (hier archiviert), in dem das Foto bereits untersucht wurde. Demzufolge befindet sich das Gebäude nicht in Berlin, sondern in Warschau.

Eine Überprüfung mit Google Streetview zeigt: Es handelt sich um das gleiche Gebäude wie in den geteilten Fotos. Allerdings wurden auf den manipulierten Aufnahmen die Straßenschilder und Hausnummern an der Fassade wegretuschiert, ebenso die polnische Flagge, die durch eine Deutschlandfahne ersetzt wurde.

Die Aufnahme von Google Streetview stammt von August 2021 und ist somit vor Beginn des russischen Angriffskrieges entstanden. Daher hat AFP am 25. September 2023 überprüft, ob ein Graffiti an der Fassade zu sehen ist. Dies war nicht der Fall:

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Foto des Gebäudes in Warschau: 25. September 2023 ( AFP / Maja CZARNECKA)

Das Gebäude ist derzeit für Arbeiten eingerüstet. "Das Gerüst am Gebäude wurde am 18. September aufgestellt, um die Balkone zu reparieren und das Gebäude zu streichen", erklärte die technische Abteilung der für das Gebäude zuständigen Wohnungsbaugenossenschaft SBM Powiśle gegenüber AFP. "Vorher gab es kein Graffiti." Auch eine Bewohnerin des Hauses, Anna Czyz, sagte über die Aufnahmen: "Ja, das ist unser Gebäude, ich erkenne es wieder. Wir hatten nie ein solches Graffiti an der Fassade." Ein Mitarbeiter des Kiosks im Erdgeschoss bestätigte das und eine weitere Bewohnerin erklärte: "Ich bin ich jeden Tag hier, ich hätte das Graffiti gesehen."

Erfundene Artikel der "Deutschen Welle" und der "FAZ"

Die Beiträge in den sozialen Medien enthalten vermeintliche Screenshots von Artikeln der "Deutschen Welle" ("DW") und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ("FAZ") über das Graffiti. Deshalb bat AFP die beiden Medienhäuser um eine Stellungnahme. Sowohl die "Deutsche Welle" als auch die "FAZ" erklärten, dass die Beiträge gefälscht seien und nicht von ihnen veröffentlicht wurden.

"Nein, die 'DW'hat einen solchen Beitrag nicht veröffentlicht. Es wurde auch kein Bericht zu diesem Thema auf anderen Plattformen der 'DW' oder als Artikel veröffentlicht. Es handelt sich um eine Fälschung", erklärte eine Sprecherin der "Deutschen Welle" in einer E-Mail vom 22. September 2023. "Dies ist an der Schriftart erkennbar, die nicht der Schriftart entspricht, die wir als 'DW' verwenden. Außerdem ist die Fälschung am wertenden Wording erkennbar, welches nicht unserem Verständnis von seriöser Berichterstattung entspricht", erklärte sie weiter. Die "Deutsche Welle" prüfe "bezüglich der Posts bereits weitere Schritte".

Auch die "FAZ" erklärte, dass es sich um einen manipulierten Screenshot handele. "Wir können bestätigen, dass es sich um eine gefälschte Nachricht handelt. Die 'FAZ' hat den Beitrag nicht publiziert", erklärte eine Sprecherin in einer E-Mail vom 25. September 2023. Das lasse sich an mehreren Punkten erkennen. So sei der Name Selenskyjs nicht in der Schreibweise der "FAZ" geschrieben, die ihn üblicherweise "Wolodymyr Selenskyj" schreibt und nicht "Zelensky" oder "Zelinsky", wie in diesem russischen Telegram-Beitrag. Zudem entspreche die Schriftart des Titels auf der Website nicht der Schriftart des Medienhauses und der Beitrag sei nicht im "FAZ"-Archiv zu finden.

Bei einer Suche in den Archiven der "Deutschen Welle" und der "FAZ" und einer Stichwortsuche konnte AFP ebenfalls keine Artikel zu dem Thema finden.

Graffiti im Pariser Vorort nicht vorhanden

Im Falle des zweiten Fotos ist AFP ähnlich vorgegangen. Um den Ort zu bestimmen, an dem das angebliche Foto des Graffitis im Pariser Vorort Montreuil gemacht wurde, hat AFP zunächst das abgebildete Gebäude gesucht und mit einer sogenannten Geolokalisierung gefunden. Dank des Namens des Restaurants an der blauen Fassade war es möglich, den genauen Standort zu bestimmen und mit Google Streetview die Fassade abzugleichen.

Die Aufnahmen von Google Streetview stammen von September 2021. Somit sind sie vor Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 entstanden. AFP war am 21. September 2023 vor Ort und hat festgestellt, dass auch zu diesem Zeitpunkt kein Graffiti auf der Fassade zu sehen ist.

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Foto des Gebäudes im Pariser Vorort Montreuil: 21. September 2023 ( AFP / Fabien ZAMORA)

AFP hat zudem mit mehreren Personen gesprochen, die naheliegende Gewerbe betreiben, um zu erfahren, ob das Graffiti in der Vergangenheit dort zu sehen war. "Es hat nie ein solches Graffiti gegeben", erklärte der 50-jährige Apotheker José Aubert von der Apotheke Laitières, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet. "Ich arbeite dort seit 22 Jahren und es gab niemals ein solches Graffiti", bestätigte eine weitere Ladenbesitzerin, die anonym bleiben wollte. Ein weiterer Ladenbesitzer, der seinen Namen nicht nennen wollte, versicherte: "Wenn es dieses Graffiti gegeben hätte, hätte ich es gesehen."

Die Beiträge auf Französisch enthalten einen vermeintlichen Screenshot eines Artikels der Wochenzeitung "Le Point", der von einem Journalisten namens Jean-Noël Lessard verfasst sein soll. AFP bat die Zeitung deshalb um eine Stellungnahme. "Le Point" hat bestätigt, einen solchen Artikel nicht veröffentlicht zu haben und keinen Journalisten namens Jean-Noël Lessard zu beschäftigen. Dieser wird im Artikel zu dem als "Sondergesandter in Paris" bezeichnet. Eine solche Bezeichnung gibt es bei "Le Point" jedoch nicht, da das Medienhaus in Paris ansässig ist.

"Dies ist ganz offensichtlich das Werk eines Fälschers, ein Schwindel, Identitätsdiebstahl und Propaganda. Ich kenne keinen Jean-Noël Lessard. Dieser sogenannte 'Artikel' stammt nicht aus 'Le Point'!", erklärte Herausgeber Etienne Gernelle am 21. September 2023 gegenüber AFP. "Leider sind wir an diese Art von Manipulation gewöhnt. Wir wurden bereits mit Cyberangriffen aus Russland konfrontiert, mit Versuchen, unsere Website abzuschöpfen, und wir wurden bereits über gefälschte Artikel aus 'Le Point' unterrichtet, die unsere Grafiken verwendeten und für soziale Netzwerke bestimmt waren. Dieser Schwindel scheint noch plumper zu sein als die vorigen."

Kopie eines Zeitungsartikels ist kein Einzelfall

Identitätsdiebstähle europäischer Medien wurden bereits öffentlich und können verschiedene Formen annehmen – von relativ skizzenhaft wie dieses Bild, das das Erscheinungsbild der Website von "Le Point" aufgreift, aber keine Links enthält, bis hin zur Erstellung ganzer Seiten mit aktiven Hyperlinks. Sicherheitsdienste sagen, es handele sich um Manöver der Informationskriegsführung zugunsten Russlands.

AFP hat in der Vergangenheit bereits über ähnliche Fälle berichtet. In einem am 27. September 2022 erschienenen Bericht nennt das "EU Disinfo Lab", das auf die Beobachtung von Desinformationskampagnen spezialisiert ist, mindestens 50 falsche Domains, die echte Nachrichtenseiten von mindestens 17 Medien kopierten. Die NGO gibt der russischen Kampagne den Titel "Doppelgänger". Wie das französische Generalsekretariat für Verteidigung und nationale Sicherheit (SGDSN), das der Premierministerin unterstellt ist, am 21. September 2023 gegenüber AFP mitteilte, ist das hinter der Kampagne stehende Netzwerk RRN weiterhin aktiv – ob es für die Falschinformationen über das Graffiti in Montreuil verantwortlich ist, konnte das Generalsekretariat unterdessen nicht bestätigen.

Auch andere Medien sind immer wieder Opfer solcher Falschbehauptungen: In einem Video wurde beispielsweise fälschlich behauptet, eine Journalistin von "France 24" habe einen ukrainischen Künstler angeheuert, um Anti-Selenskyj-Graffitis in Europa zu sprühen, um anschließend Russland der Propaganda gegen die Ukraine beschuldigen zu können. Ronan Dubois, Generaldirektor von "20 Minutes", kündigte an, dass das Medium Klage einreichen werde.

Fazit: Fotos, die Graffitis des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Kannibalen zeigen, sind manipuliert. Journalisten von AFP überprüften die Gebäude in Warschau und nahe Paris, Anwohnerinnen und Anwohner dementierten, dass die Graffitis dort gewesen seien. Auch die "Deutsche Welle" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" erklärten gegenüber AFP, dass die online geteilten Beiträge nicht von ihnen stammten.

27. September 2023 Schreibweise "Selenskyj" korrigiert

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