Dieses Video zeigt keine WDR-Mitarbeiter, die Bilder mit Reichsflagge inszenieren

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  • Veröffentlicht am 8. Oktober 2020 um 09:15
  • Aktualisiert am 8. Oktober 2020 um 09:48
  • 7 Minuten Lesezeit
  • Von: Jan RUSSEZKI, AFP Deutschland
Ein tausendfach geteiltes Video enthüllt Anfang Oktober angeblich einen Medienskandal: Zwei Männer, die zum Westdeutschen Rundfunk gehören sollen, packen bei einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Köln eine Reichsflagge aus, um diese in ihrer Berichterstattung zu zeigen. Der Vorwurf gegen den WDR: Inszenierung falscher Bilder. Allerdings arbeitet keiner der beiden gezeigten Männer für den WDR.

1,2 Millionen User haben das Video auf Facebook angesehen und seit dem 3. Oktober mehr als 4.000 Mal geteilt. Der erste von AFP gefundene Beitrag tauchte in Form eines inzwischen gelöschten Tweets am 3. Oktober 2020 auf. Darin wird der WDR bereits beschuldigt, auf einer Demonstration eine eigene Reichsflagge aus dem Kofferraum geholt zu haben. Passend dazu ist im Clip ein Mann mit den Worten zu hören: "Vorher nicht auf der Demonstration und jetzt holen Sie die Schwarz-Weiß-Rote Fahne hier raus, damit man die passenden Bilder erzeugen kann."

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Erster von AFP gefundener Tweet mit dem Video – Ein Screenshot vom 6. Oktober 2020 von einer Archivierungswebsite

Das Video taucht mittlerweile in mehreren Telegram-Gruppen auf, etwa in der rund 84.000 Mitglieder starken Gruppe des Verschwörungsmythikers Attila Hildmann (hier) und in der Gruppe "Freiheits-Chat" mit 45.000 Mitgliedern. Es verbreitet sich auf Instagram (etwa hier mit 3.700 Aufrufen) und auf Twitter (hier mit bisher 1.167 Shares). Außerdem hat der ehemalige Focus-Reporter Boris Reitschuster die Behauptung auf seinem Blog aufgegriffen. Allein seinen Artikel über die Vorwürfe an den WDR teilten Tausende.

Die meisten Beiträge auf Facebook nennen die gleichen Anschuldigung in ihren Beitragstexten: "Wenn bei der Demo niemand eine Reichsflagge trägt, muss der WDR sie halt selbst aus dem Kofferraum holen. Querdenken-Demo Köln, letzte Woche. Das ist ein Skandal und ich meine, dass das verbreitet werden sollte, damit die Menschen sehen wie die MSM (Mainstream Medien, Anm. d. Red.) arbeiten." Weiter heißt es: "Der Name des Mannes mit dem Schirm ist Joerg Andreas Herber, freier Mitarbeiter des WDR..."

Immer wieder stehen Demonstrationen gegen Corona-Beschränkungen in der Kritik, sich nicht genug von rechtsradikalen Mitläufern zu distanzieren. Das für die rechte Szene typische Zeigen von Reichsflaggen etwa sorgte bei einer großen Berliner "Querdenken"-Demonstration für bundesweite Schlagzeilen.

Was das Video zeigt

Das Video zeigt zwei Männer, die am Rand einer Demonstration stehen. Im Hintergrund sind das Firmengebäude "LanXess" und das Kölner Dreieck gut zu erkennen. Einer der Männer in der Siegburger Straße holt eine Reichsflagge aus einem Rucksack und befestigt sie an einem Stock.

Es hat tatsächlich eine Querdenken-Demonstration in Köln am 26. September 2020 gegeben. Das Video könnte durchaus währenddessen entstanden sein. Allerdings zeigt es zu keinem Zeitpunkt Hinweise auf Mitarbeiter des WDR oder deren Filmaufnahmen. Weder sind Kameras der Sendeanstalt zu sehen, noch Mikrofone oder Sendewagen.

Der einzige Hinweis darauf, dass es sich beim Gezeigten um einen Mitarbeiter des WDR handeln soll, ist wie oben beschrieben im Beitragstext des Videos zu finden.

Wer ist der angebliche WDR-Mitarbeiter?

Das Mitarbeiterfoto von Jörg Andreas Herber auf der WDR-Homepage ist schon mehrere Jahre alt. Aber es ist offensichtlich, dass sich die Form der Nase der beiden gezeigten Männer unterscheidet.

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Mitarbeiterfoto des WDR (links) und zwei Screenshots aus dem Video (rechts) – Screenshot vom 5. Oktober 2020 von der Seite des WDR und aus dem Video

Weitere Hinweise sprechen gegen die Behauptung, es handele sich um einen WDR-Mitarbeiter.

Am selben Tag, an dem sich die Anschuldigungen auf Twitter verbreiteten, twitterte der WDR selbst: Es handele sich bei den beiden Männern im Video nicht um Mitarbeiter. "Der WDR hat keine Kenntnis darüber, wer die Personen in dem Video sind", heißt es. Auf AFP-Anfrage teilte WDR-Sprecherin Stephanie Noack am 3. Oktober außerdem per E-Mail mit, dass Jörg Herber aktuell gar nicht für den WDR arbeite: "Herr Herber ist seit mehreren Jahren nicht mehr für den WDR tätig."

In einem Telefonat mit AFP am 5. Oktober bestätigte auch Jörg Herber selbst, dass er bereits seit 2016 nicht mehr für den WDR tätig sei. Am Tag der Demonstration sei er auch nicht in Köln gewesen. "Ich war an diesem Tag in Geislingen bei einem der höchsten Kagyü-Retreat-Meistern zu einer buddhistischen Einweihung", sagte er.

Die Leiterin des privaten buddhistischen Seminars bestätigte seine Anwesenheit auf AFP-Anfrage. Sie zeigte AFP außerdem eine E-Mail-Anfrage von Herber, in der er am 25. September um ein Interview mit einem buddhistischen Gelehrten gebeten hatte. Die Leiterin lieferte keinen weiteren Beweis für die tatsächliche Anwesenheit von Herber im Seminar am 26. September 2020.

Wer ist der Mann mit der Reichsflagge?

Zwei Twitter-Nutzer, deren Tweets inzwischen gelöscht wurden, identifizieren den Mann mit der eigentlichen Reichsflagge als weiteren WDR-Mitarbeiter (hier und hier). Sie wollen ihn auf einem angeblichen Youtube-Video von WDR-Dreharbeiten gefunden haben. Dieses Video zeigt tatsächlich Männer bei Dreharbeiten, ob es sich bei ihnen überhaupt um WDR-Mitarbeiter handelt, bleibt unklar. 

Im Tweet jedenfalls wird behauptet, dass die beiden Männer vom Youtube-Video den angeblichen WDR-Mitarbeitern von der Kölner Demo frappierend ähnlich sehen würden. Dazu zeigt der Tweet Screenshots der Aufnahmen.

Im Tweet ist ein Mann mit einer Warze im Gesicht zu sehen (AFP hat sie im folgenden Screenshot rot eingekreist). Dieser soll dem Mann mit der Reichsflagge ähnlich sehen. Bei diesem ist im Demo-Video allerdings keine Warze zu sehen – es kann sich also gar nicht um denselben Mann handeln. 

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Der mittlerweile gelöschte Tweet eines Nutzers, der behauptete, Gemeinsamkeiten zwischen den Männern im Video und den WDR-Mitarbeitern gefunden zu haben – Ein Screenshot vom 5. Oktober 2020
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Auf dem Gesicht des Mannes in dem Video ist keine Warze zu sehen – Ein Screenshot vom 5. Oktober 2020 aus dem Video

Ein weiterer Tweet glaubt, den Fahnen-Mann auf einem Mitarbeiterfoto auf der WDR-Homepage wiedergefunden zu haben. Besagter Mitarbeiter sieht aber ganz anders aus: Der Haaransatz und die Haarfarbe unterschieden sich klar von denen des Mannes aus dem Demo-Video. Auch bei ihm ist klar: Es ist nicht derselbe Mann. Der WDR-Mitarbeiter selbst wollte sich nicht gegenüber AFP zu den Behauptungen äußern.

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Mitarbeiterfoto auf der WDR-Homepage (links) und der Mann in dem Video (rechts) – Ein Screenshot vom 5. Oktober 2020 von der Seite des WDR und aus dem Video

Kurz nach seinem ersten Text hat auch Boris Reitschuster einen zweiten Artikel zum Thema geschrieben: Ihn habe ein gewisser Wladimir M. kontaktiert, um klarzustellen, dass er "der Mann mit der Fahne" sei. Er habe Reitschuster erklärt, dass er kein WDR-Angestellter sein, sondern "einfach ein Patriot". Reitschuster beweist den Kontakt mit Bildern des Mannes auf einer Treppe und von einer Demonstration in Berlin. Wladimir M. soll die Fotos geschickt haben. Der Mann darauf sieht tatsächlich so aus, wie der Mann mit der Reichsflagge.

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Ein Screenshot vom 5. Oktober 2020 vom Reitschuster Blog

Keiner der beiden angeblich überführten WDR-Mitarbeiter war tatsächlich im geteilten Video zu sehen. Der WDR hat auch keinen der beiden zur Berichterstattung über die Demo in die Kölner Innenstadt geschickt. 

WDR-Sprecherin Noack teilte AFP per Mail mit, die Sendung "Lokalzeit Köln" habe zwar einen Reporter vor Ort gehabt, der habe aber nicht berichtet. "Bei diesem Reporter handelt es sich nicht um eine der Personen in dem Video", sagte Noack. Der WDR habe auch keine Bilder von der Demonstration ausgestrahlt. Die öffentlich rechtliche Anstalt prüft aktuell rechtliche Schritte gegen die Behauptung.

In einem Statement ordnet der WDR den Nutzer, der das Video als erstes hochgeladen haben soll, wegen seiner Fotos und Beiträge der QAnon-Verschwörungsbewegung zu. "Diese Bewegung transportiert auch rechtsextreme Aussagen", schreibt der WDR. Diese Beschreibungen passen zu dem ersten Twitter-Post, den AFP zum Thema gefunden hat. 

Fazit

Das Video liefert weder Beweise dafür, dass die Männer Angestellte des WDR sind, noch dass sie Fake-Bilder mit Reichsflagge produziert haben. Auch die auf Social Media angestrengten Vergleiche mit WDR-Mitarbeitern halten einer genauen Überprüfung nicht stand.

Viele der falschen Behauptungen wurden mittlerweile gelöscht. Auch der Twitter-Vergleich mit Mitarbeitern auf einem angeblichen Youtube-Video ist nicht mehr online. Stattdessen hat der User einen Tweet mit einer Richtigstellung gepostet: "Habe mich nach weiterer intensiver Recherche dazu entschlossen, diesen Strang zu löschen. Die Qualität der Bilder bzw. Videos macht Vergleiche sehr schwierig und führt auf falsche Fährten. Denke, hier wurden Menschen verwechselt, auch von mir."

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