Nein, Corona ist nicht die erste Krankheit, mit der sich Geimpfte anstecken können

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  • Veröffentlicht am 20. September 2021 um 15:14
  • Aktualisiert am 20. September 2021 um 16:10
  • 6 Minuten Lesezeit
  • Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Österreich
Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer haben eine Behauptung auf Facebook geteilt, wonach Corona die erste Krankheit der Geschichte sei, an der sich auch Geimpfte anstecken können. Zwar stimmt, dass sich Geimpfte mit einer gewissen Restwahrscheinlichkeit noch immer mit Covid-19 infizieren können, das trifft aber auch auf andere Krankheiten zu.

Seit Ende Juli haben Zehntausende Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook ein Bild mit der Behauptung geteilt. Ende August teilten diese Behauptung erneut Tausende, unter ihnen etwa der AfD-Bundestagsabgeordnete Jörn König (hier, hier, hier).

Die Falschbehauptung: Auf einer Bildkarte heißt es: "Zum ersten Mal in der Geschichte kann man eine Krankheit, die man nicht hat, an Menschen übertragen, die dagegen geimpft sind!"

Neben der Behauptung von der historischen Einmaligkeit von Covid-19 stützt sich das Posting auf zwei Annahmen: Erstens, symptomfreie Fälle, also eine "Krankheit, die man nicht hat", könnten eine Krankheit (Corona) übertragen. Zweitens, Geimpfte könnten sich erstmals bei solchen beschwerdefreien Erkrankten anstecken.

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Facebook-Screenshot der Behauptung: 16.09.2021

Können symptomlose Menschen Corona übertragen?

Auch Menschen ohne Anzeichen einer Krankheit können das Coronavirus in sich tragen und weitergeben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt: "Infizierte Personen können das Virus übertragen, sowohl wenn sie Symptome haben, als auch wenn sie keine Symptome haben." Mehrere Behörden bestätigen das, etwa das deutsche und das österreichische Gesundheitsministerium. Dies gilt für zwei Varianten der Symptomlosigkeit.

Es gibt zum einen asymptomatische Verlaufsformen von Covid-19. Australische Forscherinnen und Forscher gaben in einer Metastudie an, dass die Wahrscheinlichkeit, andere zu infizieren, bei solchen Verläufen zwar geringer ist, aber nicht ausgeschlossen. Das Robert Koch-Institut (RKI) beschreibt die Rolle der asymptomatischen Übertragung als "untergeordnet".

Möglich ist außerdem auch eine Übertragung durch sogenannte präsymptomatische Infizierte. Das sind Menschen, die noch vor dem Auftreten erster Symptome stehen, später aber Krankheitszeichen entwickeln werden. Das RKI schreibt dazu: "Da im Zeitraum vor dem Auftreten von Symptomen eine hohe Infektiosität besteht, steckt sich ein relevanter Anteil von Personen innerhalb von ein bis zwei Tagen bei bereits infektiösen, aber noch nicht symptomatischen Personen an." Wie hoch dieser Anteil genau sei, sei schwer zu beziffern.

Das heißt, dass man nicht grundsätzlich gesund ist, nur weil man (noch) keine Symptome spürt. Für einen älteren AFP-Faktencheck zu symptomfreien Corona-Erkrankungen schrieb Jörg Timm vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf am 12. April: "Ohne Symptome ist man natürlich nicht automatisch gesund." Vor allem Erkrankte in einer frühen Erkrankungsphase vor dem Einsetzen der ersten Symptome können die Krankheit weitergeben.

Barbara Gärtner, Fachärztin für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Universitätsklinikum des Saarlandes erklärte am 20. September gegenüber AFP: "Man wird zuerst infiziert und hat keine Symptome. Diese treten immer zeitversetzt zur Infektion auf, weil sich die Erreger erst vermehren müssen und Strukturen im Körper schädigen müssen bis Symptome überhaupt auftreten können. Das braucht Zeit."

Kann man Corona trotz Impfung bekommen?

Ja, Geimpfte können sich infizieren. "Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, ist bereits niedrig, aber nicht Null", schreibt das RKI. Dabei spricht man von einem sogenannten "Impfdurchbruch". Solche Impfdurchbrüche sind möglich, da eine Impfung nie hundertprozentigen Schutz bietet.

Das RKI befasst sich mit den Impfdurchbrüchen auch in seinen regelmäßigen Lageberichten. Im Lagebericht vom 16. September hielt es 39.228 wahrscheinliche Impfdurchbrüche seit 1. Februar 2021 fest. Im Alter von 18 bis 59 entsprach der Anteil der wahrscheinlichen Impfdurchbrüche unter den symptomatischen Corona-Fällen 3,6 Prozent. Ersten Erkenntnissen des RKI zufolge geschieht dies bei Johnson & Johnson häufiger als bei anderen Impfstoffen.

Dass Impfdurchbrüche im Laufe der Impfkampagne zunehmen, ist aber laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung normal und erwartbar. Das liegt demnach an einem einfachen mathematischen Effekt. Wenn mehr Menschen geimpft sind, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Fällen Geimpfte sind, auch wenn es nur selten zu Durchbrüchen kommt. Vereinfacht gesagt: Wenn alle geimpft sind, sind auch alle Fälle, die trotzdem auftreten, Impfdurchbrüche, auch wenn das nur wenige sind.

Das gilt auch für asymptomatische Fälle. AFP hat beim RKI nachgefragt, welche Rolle asymptomatische Fälle für die Ansteckung Geimpfter spielen. Eine Sprecherin antwortete am 17. September: "Asymptomatisch Infizierte können das Virus übertragen, auf wen auch immer."

Kann man Corona trotz Impfung übertragen?

Auch das ist nicht ausgeschlossen, allerdings selten der Fall. "In der Gesamtschau legen die verfügbaren Daten nahe, dass die COVID-19-Impfung eine Virustransmission in erheblichem Maß reduziert, und dass vollständig geimpfte Personen in Bezug auf die Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen", schreibt das RKI. Es hat für diese Einschätzung 16 Studien untersucht. In Summe sei das "Risiko einer Virusübertragung aber stark vermindert". Die geringe Übertragung liegt daran, dass Geimpfte laut ersten Untersuchungen (beispielsweise hier oder hier) weniger hohe Viruslast haben und damit weniger ansteckend sind.

Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sehen das ähnlich: "Erste Hinweise deuten darauf hin, dass Infektionen bei vollständig geimpften Personen, die durch die Delta-Variante von SARS-CoV-2 verursacht werden, auf andere Personen übertragbar sein könnten; die Übertragung von SARS-CoV-2 zwischen nicht geimpften Personen ist jedoch die Hauptursache für die weitere Ausbreitung."

Impfungen schützen

Gesichert ist auch, dass Impfungen schützen. Für einen Faktencheck zur Wirksamkeit von Corona-Impfungen hat AFP den Impfstoffforscher Torben Schiffner vom Universitätsklinikum Leipzig befragt. Er schrieb am 5. August:

"Es gibt inzwischen eine große Anzahl von Studien aus mehreren Ländern, die eindeutig belegen, dass Impfstoffe einen hohen Schutz vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 bieten. Dies gilt sowohl für leichte, insbesondere aber auch für schwere Krankheitsverläufe. Weiterhin ist eine Weitergabe des Virus bei Geimpften deutlich unwahrscheinlicher als bei Ungeimpften."

Auch das RKI hat sich mit der Wirksamkeit der Corona-Impfungen ausführlich befasst. Sowohl Vektor-Impfstoffe als auch mRNA-Impfstoffe bieten demnach einen hohen Schutz gegen Infektion und schwere Erkrankungen.

Ein aktuell veröffentlichter Bericht zu Impfdurchbrüchen der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) bestätigt die hohe Schutzwirkung der Impfung. Das Risiko einer Corona-Erkrankung war bei Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften um mindestens 88 Prozent niedriger.

Corona ist keine historische Ausnahme

Mit der Übertragung auch an Geimpfte ist Corona nicht allein. Auch andere Erreger können zuvor Geimpfte infizieren. Keine Impfung bietet absolute Sicherheit, auch wenn viele Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit aufweisen. Das Europäische Impfinformationsportal schreibt über Impfungen allgemein: "Wie bei jedem Arzneimittel ist kein Impfstoff bei jeder geimpften Person hundertprozentig wirksam." In der Regel stellen Impfungen aber eine "wirksame, sichere und kostengünstige Möglichkeit der Verhinderung von Infektionskrankheiten dar", schreibt das RKI.

Auch bei anderen Infektionskrankheiten kam es in der Vergangenheit dennoch zu Impfdurchbrüchen. Nach Berichten über die Erkrankung eines Mannes an Hepatitis-A trotz Impfung hielt etwa das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) fest: "Eine Hepatitis A- Erkrankung trotz vollständiger Impfung ist nach unseren Erkenntnissen ein sehr seltenes Ereignis." Auch bei einem Masernausbruch in Coburg 2001 berichtet das "Ärzteblatt" von einem Anteil von neun Prozent Geimpften unter den Infizierten. Auch bei Windpocken oder Keuchhusten kann es Erkrankungen trotz Impfung geben.

Bei der Influenza oder Grippe ist das ähnlich. Es könne auch "nach einer Grippeschutzimpfung zu einer Influenza-Erkrankung kommen", schreibt das RKI und erklärt weiter: "Unabhängig von der Art des Impfstoffes kann es auch bei geimpften Personen zu einer Infektion mit dem Influenzawildvirus kommen (bei Impfversagen). Häufig verlaufen solche Infektionen dann mit milderen Krankheitssymptomen oder völlig unbemerkt. In diesen Fällen können Influenzaviren ausgeschieden und auf Kontaktpersonen übertragen werden."

Auch bei Menschen, die selbst symptomlos infiziert sind, können sich Geimpfte grundsätzlich anstecken, schrieb Barbara Gärtner: "Es gibt viele Erreger, die von asymptomatischen Individuen auf Geimpfte übertragbar sind. Das ist also ein Normalbefund, der uns noch nie gestört hat." Sie führt andere Krankheiten an, die schon während der Inkubationszeit, also noch bevor Symptome auftreten, an andere übertragbar sind: "Ein Extrembeispiel wäre hier HIV. Die Erkrankung kann über viele Jahre völlig ohne Symptome verlaufen, aber man ist natürlich infektiös für andere und kann andere infizieren. Ein weiteres Beispiel wären Masern, Mumps, Windpocken – auch hier gibt es teilweise lange Inkubationszeiten über Wochen, in denen der Erreger bereits übertragen werden kann."

Fazit: Impfungen bieten keinen hundertprozentigen Schutz, ihre Wirkung zur Bekämpfung von Corona ist allerdings hoch. Das ist aber nicht einzigartig in der Geschichte, auch bei anderen Krankheiten gibt es Infektionen trotz Impfung. Auch Übertragungen durch (noch) symptomfreie Menschen sind normal, Corona ist damit keine Ausnahme.

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