
Falsche Heilversprechen rund um Salbei im Faktencheck
- Veröffentlicht am 27. Juni 2025 um 15:55
- 7 Minuten Lesezeit
- Von: Katharina ZWINS, AFP Österreich
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"Salbei zerstört Demenz, Entzündungen, Schmerzen, Arthritis, Osteoarthritis", heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 24. Mai 2025. Mit den Worten "Geben Sie nicht mehr Geld in der Apotheke aus" teilte die Userin mehrere Bilder von Salbeiblättern.
In den Kommentaren findet sich ein Link zu einer Website mit dem Namen "Einfaches-Rezept". Dort wird näher auf das angebliche "Heilmittel für die Gesundheit des Gehirns, Entzündungen und Gelenkschmerzen" eingegangen. Entweder als Tee, Öl oder Inhalation soll Salbei eine "starke Heilwirkung" haben.

Laut Fachleuten sind die Behauptungen jedoch wissenschaftlich nicht ausreichend gestützt.
Rainer Straub ist Professor für experimentelle Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie an der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Regensburg. Er bezeichnete die Behauptung gegenüber AFP am 28. Mai 2025 als "irreführend" und führte aus, dass aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichen, um das Sharepic mit dem genannten Inhalt zu bestätigen. "Die Datenlage reicht für eine solche Empfehlung nicht aus." Salbeiöl oder Salbeitee etwa gegen Gelenkschmerzen anzuwenden, ergebe laut dem Fachmann "keinen Sinn".
Straub begründet seine Ausführungen etwa mit fehlenden randomisierten kontrollierten Studien (Englisch: randomised controlled trials, RCTs) zu den geteilten Behauptungen zu Salbei. Bei einem RCT handelt es sich um eine wissenschaftliche Untersuchungsmethode, bei der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zufällig (randomisiert) in zwei oder mehr Gruppen eingeteilt werden. In der Regel erhält eine Gruppe die zu testende Intervention wie etwa ein Medikament oder in diesem Fall Salbei, während die andere Gruppe eine Kontrollbehandlung, zum Beispiel ein Placebo-Präparat, bekommt. In der Wissenschaft werden RCTs als "Goldstandard" bezeichnet.
Studienlage "nicht ausreichend" für Behauptung
RCTs zu den unterschiedlichsten medizinischen Gebieten sind in wissenschaftlichen Datenbanken wie etwa PubMed, Cochrane Library oder ClinicalTrials.gov zu finden. AFP suchte mit dem lateinischen Begriff des gemeinen Salbeis "Salvia officinalis" und der jeweiligen im Posting genannten Krankheit.
Laut dem geteilten Posting soll Salbei etwa Demenz "zerstören". Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Nervenzellen geschädigt werden und dadurch kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis, Denken und Orientierung dauerhaft beeinträchtigt werden. Die häufigste und bekannteste Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit.
"Es gibt leider keine Behandlung, die das Fortschreiten der Erkrankung vollständig stoppt oder rückgängig macht", schrieb Iris Blotenberg vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in der Helmholtz-Gemeinschaft auf AFP-Anfrage am 27. Juni 2025. Aktuelle Medikamente zielen darauf ab, Symptome zu lindern oder den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Zu den etablierten Mitteln zählen unter anderem sogenannte Cholinesterasehemmer, die die geistige Leistungsfähigkeit häufig über Monate stabilisieren könnten. Im April 2025 wurde zudem Lecanemab in der EU zugelassen, schrieb Blotenberg. Hierbei handelt es sich um einen Antikörper, der sich gegen eine bestimmte Gruppe der charakteristischen Proteinablagerungen im Gehirn richtet, die bei Alzheimerer auftreten und der "das Fortschreiten der Krankheitssymptome etwas ausbremst".
Zur geteilten Behauptung erklärte die Expertin, dass Salbei "wegen seiner cholinesterasehemmenden Wirkung" schon seit langer Zeit als Heilpflanze, unter anderem auch zur Förderung der geistigen Leistungsfähigkeit, eingesetzt werde. "Die Studienlage ist aktuell aber viel zu dünn für Empfehlungen."
In der Datenbank PubMed fand AFP zwei RCTs zum Thema Salbei und Demenz. In einer 2003 veröffentlichten Studie konnte tatsächlich eine positive Wirkung auf das Gehirn festgestellt werden. In der Zusammenfassung hieß es: "Die Ergebnisse dieser Studie deuten auf die Wirksamkeit des Salbeiextrakts bei der Behandlung von leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Krankheit hin." In der anderen Studie aus dem Jahr 2018 gab es hingegen "keine signifikanten Unterschiede zwischen der Behandlung und dem Placebo". Ähnliche Ergebnisse lieferten auch Suchen in den Datenbanken Cochrane und ClinicalTrials.gov. Rainer Straub vom Universitätsklinikum Regensburg bilanzierte: "Das reicht nicht aus, um eine solche harte Aussage zu treffen."
Dieselbe Aussage tätigte Straub zu den Auswirkungen von Salbei auf Entzündungen. Entzündungen im Körper sind Abwehrreaktionen des Immunsystems auf schädliche Reize wie Keime oder Verletzungen, die der Wiederherstellung der Funktion dienen, jedoch bei chronischem Verlauf zur Entstehung verschiedener Erkrankungen beitragen können. Mithilfe einer Suche in den genannten Datenbanken konnte AFP seine Einschätzung bestätigen.

Laut dem geteilten Posting soll Salbei auch Schmerzen "zerstören". In diesem Zusammenhang fand AFP vier RCTs in der PubMed-Datenbank. Tatsächlich wird Salbei darin mitunter eine hilfreiche Wirkung in Bezug auf Schmerzen attestiert – etwa bei einer Rachenentzündung. Laut Fachmann Straub könnte man somit durchaus von einem "positiven Effekt" sprechen. Allerdings sei der "Aromaeffekt wohl viel stärker als bei Placebo". Das heißt, der Effekt, den etwa Salbeiaromen in den durchgeführten Studien auslösen, sei vermutlich deutlich stärker als der Effekt, den man durch ein Placebo erwarten würde. Daher seien derartige Studien "nicht wirklich placebokontrolliert" und die Fallzahlen oft ohnehin so klein, so Straub. "Ich wäre sehr kritisch." Ähnliche Ergebnisse erzielte AFP auch bei Suchen in den Datenbanken Cochrane und ClinicalTrials.gov.
"Keine einzige brauchbare Evidenz" in qualifizierten Untersuchungen
Michael Freissmuth, Vorstand des Instituts für Pharmakologie und Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, schickte AFP auf Anfrage zur geteilten Behauptung am 18. Juni 2025 den Link zu einer von ihm durchgeführten Suche in der Datenbank PubMed. Mit dem Stichwort "Salvia officinalis" erzielte diese insgesamt lediglich 36 Ergebnisse. Freissmuth schrieb: "Es gibt dafür keine einzige brauchbare Evidenz aus einer adäquat durchgeführten klinischen Studie."
Das sagte auch Johannes Stöve gegenüber AFP. Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im St. Marien- und Annastiftskrankenhaus der Universität Heidelberg. In einem Telefonat am 12. Juni 2025 erklärte er zur online verbreiteten Aussage: "Es gibt keine Studie zu Salbei, die diesen Effekt nachweisen würde."
Stöve ist zudem federführender Autor einer Leitlinie zum Thema Kniearthrose der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Salbei wird in dieser Leitlinie nicht als evidenzbasierte Behandlung empfohlen, wie er gegenüber AFP bestätigte. Osteoarthritis (oft auch Arthrose genannt) ist eine degenerative Gelenkerkrankung, bei der der Knorpel im Gelenk allmählich abgebaut wird. Arthrose ist bislang nicht heilbar, da sich der Schaden an Knorpel und Knochen nicht rückgängig machen lässt. Behandlungen zielen daher primär darauf ab, ein Fortschreiten zu verhindern und Beschwerden zu lindern.
Bei Arthritis, laut dem online geteilten Posting wie Arthrose angeblich durch Salbei heilbar, handelt es sich um eine Entzündung der Gelenke, die Schmerzen, Schwellungen und eingeschränkte Beweglichkeit verursacht. Arthritis ist ein Sammelbegriff für viele verschiedene entzündliche Gelenkerkrankungen. Eine der häufigsten und bekanntesten Formen ist rheumatoide Arthritis. Hierbei handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung. Eine vollständige Heilung ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft bislang nicht möglich, Betroffene können den Verlauf der Erkrankung jedoch verlangsamen und in manchen Fällen sogar zum Stillstand bringen. Demnach ist die Behauptung einer angeblichen "Zerstörung" der Erkrankung durch Salbei hier nicht nachvollziehbar.
Stöve erklärte: "Die Einnahme von Salbei hat auf Knorpel und Gelenke keinen Einfluss." AFP fand ebenfalls keine aussagekräftigen RCTs zu Salbei und seinen angeblichen Heilwirkungen auf Arthritis und Osteoarthritis in den gängigen wissenschaftlichen Datenbanken. Mediziner Straub schrieb abschließend – im Einklang mit den anderen befragten Experten –, dass es zu wenige oder mitunter gar keine veröffentlichten RCTs zu Salbei gibt, um solche Aussagen wie im geteilten Posting fundiert treffen zu können. Die Studienlage würde "nicht ausreichen".
Alle Faktenchecks zum Thema Gesundheit sammelt AFP auf der Website.
Fazit: Online hieß es zuletzt fälschlich, Salbei könne etwa Demenz oder Arthritis "zerstören". Die Aussagen in sozialen Medien sind laut Fachleuten jedoch zu kurz gegriffen. In seriösen Studien konnten keine derartigen Heilwirkungen der Pflanze festgestellt werden.