Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2024 von Desinformation begleitet
- Veröffentlicht am 1. August 2024 um 13:04
- Aktualisiert am 1. August 2024 um 14:43
- 8 Minuten Lesezeit
- Von: AFP Frankreich
- Übersetzung: Johanna LEHN
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Die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2024 am 26. Juli war der Startschuss für zwei Wochen voller Wettkämpfe in Frankreich. Das vierstündige Spektakel wurde weltweit vor allem für seinen außergewöhnlichen Charakter und den Erfindungsreichtum des Regisseurs Thomas Jolly gelobt, löste aber auch eine Welle von Desinformation in sozialen Medien aus. AFP hat sich mit der Mischung aus dem Zusammenhang gerissenen Aufnahmen, Übertreibungen und Falschinfos beschäftigt.
Die Olympischen Spiele starteten am 26. Juli 2024 mit einer Parade der Athletinnen und Athleten auf der Seine und der ersten Eröffnungszeremonie außerhalb der Stadien, gekrönt von einem Auftritt der Sängerin Céline Dion auf dem Eiffelturm und dem Abheben des Olympischen Feuers in einem Heißluftballon.
Der für die Zeremonie verantwortliche Regisseur Thomas Jolly schuf eine gigantische Inszenierung, die die Seine, die historischen Gebäude und die Dächer von Paris in eine Bühne und Hommage an die französische Kunst und Kultur verwandelte. Das Internationale Olympische Komitee lobte die revolutionäre, auf das Fernsehen zugeschnittene Feier, die von Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt wurde, darunter 23 Millionen allein im französischen Fernsehen. 326.000 Menschen verfolgten die Show trotz Regen am Ufer der Seine und am Eiffelturm.
Obwohl mehr als 85 Prozent der Französinnen und Franzosen die Zeremonie laut einer Umfrage als "gelungen" bewerteten und Medien den Einfallsreichtum der Show lobten, rief sie auch Kritik hervor: Einige Elemente wurden als gewagt oder sogar respektlos empfunden. Diese Kritik zog auch Desinformation nach sich.
Bilder von christlichen Demonstrationen
Die französische Bischofskonferenz (CEF) kritisierte am Tag nach der Zeremonie, sie habe "Szenen der Verhöhnung und Verspottung des Christentums" gezeigt. Damit bezog sich die CEF auf eine Szene mit dem Titel "Festivité" (zu deutsch: Festlichkeit), in der eine Gruppe hinter einem großen Bankett aufgereiht war. Darunter befanden sich mehrere Drag Queens. Die Szene habe an eine Parodie des "Letzten Abendmahls" erinnern können, ein berühmtes Gemälde von Leonardo da Vinci, das Jesus und seine Jünger an einer langen Tafel zeigt.
Gläubige Christinnen und Christen in Mossul im Irak wurden ihrerseits am 29. Juli 2024 vom syrisch-katholischen Erzbischof der Stadt als Reaktion auf die Feier, die eine "Beleidigung der Religion, aber auch der Menschheit" sei, zum Fasten aufgerufen.
Der Regisseur Thomas Jolly dementierte derweil, vom "Letzten Abendmahl" inspiriert worden zu sein. Er betonte, es sei eine Anspielung auf die Götter des Olymps gewesen, mit Dionysos, dem Gott des Weins und des Festes, im Vordergrund. Dieser wurde, vollständig blau bemalt, von dem französischen Sänger und Schauspieler Philippe Katerine dargestellt.
So zeigt beispielsweise das Werk "Das Fest der Götter" von Jan Harmensz van Biljert aus dem 17. Jahrhundert eine ähnliche Szene: die olympischen Götter feiern, im Vordergrund ist Dionysos zu sehen.
Das Organisationskomitee der Olympischen Spiele (OCOG) versicherte ebenfalls, es sei nie die Absicht gewesen, "einer religiösen Gruppe gegenüber respektlos zu sein".
In diesem Zusammenhang wurden in sozialen Medien verschiedene Videos mit der Falschbehauptung geteilt, sie würden Demonstrationen von Christinnen und Christen zeigen, die ihre Kritik an der Feier ausdrückten. AFP hat zwei von ihnen untersucht, die aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden.
"Als Reaktion auf die Blasphemie und Dekadenz der Olympia-Eröffnungs'feier'", schrieb ein Facebook-Nutzer am 29. Juli 2024. "Am gestrigen Sonntag haben sich spontan hunderte Christen auf dem Trocadero in Paris versammelt, gebetet und christliche Lieder gesungen." Dazu teilte er ein Video zahlreicher Menschen auf der Esplanade du Trocadéro mit Blick auf den Eiffelturm, die gemeinsam singen und Schilder hochhalten, auf denen beispielsweise "Jésus t'aime" (zu deutsch: Jesus liebt dich) geschrieben steht.
Das Video ist jedoch älter. Darauf ist der Instagram-Account "jeanluctrachsel.ministries" eingeblendet. Dort ist das Video am 25. Mai 2024 veröffentlicht worden (hier archiviert) und ist somit mehrere Monate vor der Eröffnungsfeier entstanden. In der Beschreibung steht: "Gerade in Paris, am Eiffelturm, wir bringen Jesus in die Stadt" und "Marsch für Jesus Paris".
Bei einer Suche nach diesen Stichworten fand AFP eine Website zu einer Eventreihe, bei der Menschen zusammenkommen, um Jesus zu feiern (hier archiviert). Der letzte Termin der Reihe war der Website zufolge für den 25. Mai 2024 auf der Esplanade du Trocadéro anberaumt.
Ein Video der Organisatorinnen und Organisatoren des Events zeigt die gleiche Menschenmenge aus anderen Blickwinkeln, auch einige Schilder sind wiederzuerkennen (hier archiviert).
Zudem fällt auf, dass die Olympischen Ringe, die bereits 50 Tage vor dem Beginn der Spiele am Eiffelturm installiert wurden, nicht auf dem Video zu sehen sind. Demnach kann es nicht Ende Juli 2024 aufgenommen worden sein.
Ein anderes, in sozialen Medien geteilten Video zeigt hunderte Personen mit Kerzen bei Nacht auf einem Platz. "Tausende Christen in Frankreich versammelten sich zu einer atemberaubenden Demonstration ihres Glaubens und ihrer Einheit", hieß es in einem Beitrag vom 29. Juli 2024 auf Facebook. Und weiter: "Die Olympiaeröffnungsfeier in Paris hat die satanischen Ziele der einflussreichen Funktionäre gezeigt."
Mithilfe einer umgekehrten Bildsuche fand AFP das gleiche Video (hier archiviert), allerdings mit dem Veröffentlichungsdatum 15. August 2022. Es wurde auf dem X-Account der Wallfahrtsstätte Notre-Dame de Lourdes im Südwesten Frankreichs hochgeladen. "Schönes und fröhliches Fest Mariä Himmelfahrt. Im Gebet verbunden mit allen Katholiken der Welt. Möge die Jungfrau Maria in euren Herzen leuchten", lautet die Beschreibung des Videos.
Die Feierlichkeiten zu dem christlichen Fest Mariä Himmelfahrt, das die Aufnahme Marias in den Himmel markiert, finden jedes Jahr in Lourdes statt. Die Stadt ist ein wichtiger Ort für Marienwallfahrten. Eine weitere Suche führte zu zusätzlichen Videos, die ähnliche Szenen von Feierlichkeiten zeigen, wie beispielsweise im Jahr 2021.
Das Video passt auch zum Platz vor der Wallfahrtskirche mit ihrer Marienstatue und dem Rundbau des Informationszentrums (hier archiviert).
Darüber hinaus hat AFP keine Hinweise auf massive Demonstrationen nach der Olympia-Eröffnungsfeier gefunden.
Desinformationen zum Stromausfall
Weitere Falschinformationen betrafen einen Stromausfall in Paris am Tag nach der Zeremonie zum Start der Olympischen Spiele. Während nach Angaben des Energieversorgers am 27. Juli 2024 kurz vor Mitternacht ein "technisches Problem zu Stromausfällen in mehreren Pariser Stadtteilen" führte, übertrieben Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien das Problem, dass der Stromausfall "etwa zehn Minuten" gedauert habe. In diesem Zusammenhang kursierten auch Fotos und Videos, mit denen behauptet wurde, Paris, auch Stadt des Lichts genannt, sei wegen der Eröffnungsfeier in Dunkelheit getaucht.
"Die Olympischen Spiele haben Gott und Jesus zum Gespött gemacht, dann wurde Paris aufgrund eines massiven Stromausfalls dunkel und NUR EINE KIRCHE war erleuchtet, in der sich Tausende und Abertausende von Christen auf den Straßen versammelt hatten, um zu beten", hieß es in einem kroatischen Facebook-Post mit dem Video aus Lourdes und Fotos der Pariser Basilika Sacré-Coeur.
In anderen Beiträgen auf Facebook und Telegram wurde behauptet, es handele sich um ein "Video einer Überwachungskamera, die den Moment eines Stromausfalls in Paris mitten bei den Olympischen Spielen festgehalten hat. Genau um 23:00 Uhr Ortszeit – seltsam". Dasselbe Video wurde auch auf Französisch geteilt.
Das Video wurde jedoch in Munster im Elsass aufgenommen. Das ist auch auf dem Filmmaterial selbst angegeben, in der oberen linken Ecke ist der Hinweis "Munster – place du marché" (zu deutsch: Münster – Marktplatz) erkennbar. Die Kamera gehört der Stadt und ihre Aufnahmen sind online zugänglich (hier archiviert). Bei dem Gebäude handelt es sich um die evangelische Kirche in Munster (hier archiviert). Zum Zeitpunkt der Aufnahme, gegen 23 Uhr, sind alle Straßenlaternen ausgeschaltet, um Energie zu sparen.
Andere, beispielsweise kroatische oder englische Beiträge, die den Stromausfall mit der Eröffnungsfeier in Verbindung bringen, enthalten ein Foto des Eiffelturms im Dunkeln. Eine umgekehrte Bildsuche führte zu dem Originalfoto (hier archiviert), das ein AFP-Fotograf am 27. März 2021 während der "Earth Hour" aufgenommen hatte. Dabei handelt es sich um eine weltweite Umweltkampagne, bei der die Lichter zahlreicher Monumente, darunter des Eiffelturms, ausgeschaltet werden.
Der Stromausfall betraf "etwa 85.000 Kunden" des Energieversorgers Enedis im 1., 9., 17. und 18. Bezirk der Hauptstadt (von insgesamt 20 Pariser Bezirken), teilte das Unternehmen verschiedenen französischen Medien mit. Die meisten Gebäude und Denkmäler waren also nicht von dem Stromausfall betroffen.
Bild der zweiten Behauptung korrigiert1. August 2024 Bild der zweiten Behauptung korrigiert