Bei einem Herzinfarkt sollte man schnellstmöglich ins Krankenhaus

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  • Veröffentlicht am 28. März 2023 um 18:18
  • Aktualisiert am 18. April 2023 um 12:38
  • 4 Minuten Lesezeit
  • Von: Eva WACKENREUTHER, AFP Österreich
Je schneller ein verschlossenes Gefäß bei einem Herzinfarkt wieder durchblutet ist, desto geringer der Schaden. Ratschläge, die in sozialen Medien kursieren, könnten das allerdings verzögern. Sie empfehlen auf die Arminnenseite zu schlagen. Eine Expertin der Deutschen Herzstiftung rät davon dringend ab. Bei einem Verdacht auf einen Herzinfarkt sollte keine Zeit verloren werden. Die online beschriebene Methode entbehre "jeglicher wissenschaftlichen Evidenz".

Nutzerinnen und Nutzer teilten die Behauptung Ende Februar 2023 erneut auf Facebook. Auf Telegram sahen Zehntausende das Video der vermeintlichen Behandlungsmethode.

Die Behauptung: Im Video ist ein Mann zu sehen, der das Bewusstsein verloren zu haben scheint. Umstehende schlagen ihm auf den Unterarm. Der Mann kommt wieder zu sich, was die Beiträge auf die Behandlung mittels Schlagen auf seine Arminnenseite zurückführen. "Dieses Video zeigt, wie Sie in Notfallsituationen handeln müssen, um Patienten mit Herzinfarkten, die normalerweise plötzlich auftreten, Erste Hilfe zu leisten", heißt es in den Beiträgen.

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Telegram-Screenshot der Behauptung: 22. März 2023

AFP hatte in der Vergangenheit bereits eine ähnliche Behauptung widerlegt, wonach laut chinesischer Behandlungsmethoden bei einem Schlaganfall der betroffenen Person mit einer Nadel in die Finger gestochen werden sollte. Auch das ist falsch.

Die Beiträge verorten den Zwischenfall teils in einem Theater in Singapur. Der Dialekt der Menschen im Video passt aber nicht zu Singapur. AFP fand einen chinesischen Bericht vom August 2017, der Aufnahmen aus dem Video enthält. Darin ist beschrieben, dass in der südchinesischen autonomen Region Guangxi ein junger Mann einen Anfall erlitt, während er den Film "Wolf Warrior 2" in einem Kino in Nanning, der Hauptstadt der Region, ansah. Andere Aufnahmen aus dem Kino stimmen mit Details aus dem Video überein.

Was ist ein Herzinfarkt?

Bei einem Herzinfarkt wird das Herz nicht mehr richtig durchblutet, weil ein Gefäß verstopft ist. In Folge sterben die Herzmuskelzellen aufgrund von Sauerstoffunterversorgung ab. Dem Herzmuskel fehlt dann die Kraft, um den Körper zu versorgen. Ist das betroffene Gebiet sehr klein, kann ein Herzinfarkt sogar unbemerkt ablaufen. Im schlimmsten Fall führt er zu einem sofortigen Herzstillstand. Erkrankungen der Herzkranzgefäße sind weltweit die häufigste Todesursache.

Bemerkbar macht sich ein Herzinfarkt durch drückende oder brennende Schmerzen hinter dem Brustbein, Schmerzen im Brustkorb, Armen, Schultern und Kiefer bis hin zu Hals, Rücken oder Oberbauch. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, sodass erste Anzeichen oft nicht richtig erkannt werden. Die klassisch beschriebenen Herzinfarktsymptome sind bei Frauen beispielsweise häufig anders ausgeprägt.

Richtiges Verhalten bei einem Herzinfarkt

Wichtig ist es, schnell zu handeln und Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich in ein Krankenhaus zu bringen. Dort können mittels Herzkathetertechnik die Gefäße wieder geöffnet werden. Auf Komplikationen wie Kammerflimmern kann dort schnell mit einem Defibrillator reagiert werden.

Das Deutsche Rote Kreuz, genauso wie die Deutsche Herzstiftung empfehlen daher bei Verdacht auf einen Herzinfarkt, sofort den Rettungsdienst zu alarmieren. Ist die Person bei Bewusstsein, sollte sie mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden, enge Kleidung entfernt und der Kreislauf des Betroffenen überwacht werden. Erleidet der Patient oder die Patientin einen Herzkreislaufstillstand, muss sofort mit der Wiederbelebung begonnen werden. Schlagen auf die Arminnenseite empfehlen sie nicht.

Auch andere Gesundheitsbehörden weltweit, etwa die US-amerikanische CDC, empfehlen bei einem Herzinfarkt schnellstmöglich die Rettungsdienste zu verständigen.

Schlagmethode verzögert wirksame Behandlung

Christiane Tiefenbacher ist Chefärztin der Klinik für Kardiologie und Gefäßmedizin am Marien Hospital Wesel und im Vorstand der Deutschen Herzstiftung aktiv. AFP hat ihr das in sozialen Medien geteilte Video gezeigt. Am 21. März 2023 schrieb sie dazu: "Das Video und die damit verknüpfte Handlungsanweisung zur Ersten Hilfe bei Verdacht auf einen Herzinfarkt ist lebensgefährlich und entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Evidenz. Es ist gefährlich, bei Verdacht auf akuten Herzinfarkt Zeit zu verlieren, indem man die im Video gezeigte Klatschtechnik auf den Ellbogen anwendet."

Ein Teil der Postings begründet die Empfehlung damit, dass dadurch Akupunkturpunkte auf der Innenseite des Ellbogens aktiviert würden. Das würde angeblich die Durchblutung verbessern. Tiefenbacher schrieb dazu: "Diese Information ist falsch. Informationen dieser Art sind aus medizinischer Sicht skandalös, weil sie Betroffene und Helfer in der Notfallsituation eines Herzinfarkts von der einzig richtigen Erste-Hilfe-Maßnahme, nämlich mit dem Notruf 112 den Rettungsdienst (Notarzt) zu rufen, abhält und dadurch den Infarktpatienten in Lebensgefahr bringt."

Manche Postings führen weiter aus, dass diese Methode Herzerkrankungen vorbeugen könnte. Auch das wies Tiefenbacher klar zurück: "Diese Information ist falsch. Es gibt keinerlei medizinisch gesicherte Hinweise, dass sich mit dieser Schlagtechnik außer einer lokal erhöhten Durchblutung am Arm eine verstärkte Herzdurchblutung auslösen lässt oder gar ein Auflösen des Gerinnsels (Thrombus) im Herzen als Auslöser des Infarktes. Im Gegenteil: Informationen dieser Art sind sogar gefährlich."

Umstrittene Alternativmedizin

Die Abkürzung TCM steht für traditionelle chinesische Medizin. TCM wird seit mehr als 2000 Jahren in China praktiziert und ist in der Volksrepublik bis heute populär, etwa auch bei der Behandlung von Covid-19. Nach jahrelangem Lobbying nahm die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die traditionelle chinesische Medizin 2019 in den offiziellen Krankheits- und Behandlungskatalog auf. Europäische Wissenschaftler kritisierten diese Entscheidung, da TCM nicht evidenzbasiert arbeite.

Markus Steurer vom TCM Fachverband Schweiz schrieb am 28. März 2023: "Es gibt sogenannte Notfallpunkte, die von gut ausgebildeten TCM-Fachpersonen angewendet werden können. Man muss die genaue Lage dieser Punkte allerdings kennen, andernfalls kann die gewünschte Wirkung nicht erzielt werden." Ob im verlinkten Video ein solcher Punkt getroffen werde, sei nicht klar zu sehen. Johns Hopkins Medicine schreibt über Akupunktur, dass es eine effektive Behandlungsmethode sein könne.

"Wir empfehlen Laien aber nicht, solche Punkte zu suchen, schon gar nicht aufgrund eines Videos im Internet", so Steuer. Stattdessen gelte bei einem Kreislaufstillstand auch für TCM-Fachpersonen, einen Notarzt zu alarmieren eine Herzdruckmassage durchzuführen und schnell mit einem Defibrillator zu reagieren. "Die Notfallpunkte sind eine Ergänzung zu diesen Sofortmaßnahmen, kein Ersatz!"

Fazit: Bei einem Herzinfarkt sollte sofort die Rettungsdienste verständigt werden, damit Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich behandelt werden können. Das empfehlen zahlreiche Expertinnen und Experten, genauso wie der TCM Fachverband Schweiz. Für die Methode, bei einem Herzinfarkt auf die Arminnenseite zu schlagen, gebe es keine wissenschaftlichen Beweise, so eine Kardiologin gegenüber AFP. Bei Verdacht auf akuten Herzinfarkt Zeit zu verlieren sei laut der Expertin lebensgefährlich.

18. April 2023 Aufnahmeort ergänzt

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