Zitronenöl ist als Lösungsmittel für Mikroplastik ungeeignet
- Veröffentlicht am 10. Oktober 2023 um 14:57
- 5 Minuten Lesezeit
- Von: Johanna LEHN, AFP Deutschland
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"Im Gegensatz zu Zitronensaft löst Zitronenöl innerhalb von Sekunden Mikroplastik auf", heißt es in einem kurzen Video, das vielfach auf Facebook geteilt wurde. "Das können wir uns für unsere Gesundheit zu Nutze machen, indem wir unser Obst und Gemüse damit reinigen und indem wir es in ein Glas Wasser geben, trinken und so unseren Zellen etwas Gutes tun."
Zu sehen sind angeblich zwei Plastikstücke. Während auf das rechte Zitronensaft gegossen wird und nichts passiert, wird auf das linke Stück scheinbar Zitronenöl geträufelt. Innerhalb weniger Augenblicke scheint sich das Plastik vollständig aufzulösen. Die Sprecherin des Videos zieht daraus die Schlussfolgerung, dass der Verzehr von Zitronenöl Mikroplastik aus dem Körper leiten würde.
Ein ähnliches Video von einer anderen Userin wurde auch auf Tiktok häufig geteilt.
Expertinnen und Experten erklärten gegenüber AFP jedoch, dass Zitronenöl nicht alle Arten von Mikroplastik lösen könne und der erhöhte Verzehr von Zitronenöl potenziell bedenklich sei. Zitronen sind darüber hinaus immer wieder Gegenstand von falschen oder irreführenden Informationen. So hat AFP bereits widerlegt, dass gefrorene Zitronen Krebs heilen und eine Mischung aus Salz und Zitronensaft gegen Migräne helfen würde.
Die Userin, die das Video hochgeladen hatte, antwortete bis zur Veröffentlichung nicht auf eine Anfrage von AFP.
Keine Studien bekannt, die Behauptung stürzen würden
Mit "Mikroplastik" sind Plastikpartikel "unterschiedlicher Herkunft, Größe, Form und chemischer Zusammensetzung" gemeint, erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Veröffentlichung zu Mikroplastik in Lebensmitteln. "Die Größenangaben sind nicht einheitlich definiert und schwanken meist zwischen 0,0001 Millimeter (mm) und kleiner als 5 mm", heißt es dort weiter.
Um zu überprüfen, ob Zitronenöl tatsächlich den Effekt hat, der im Video angeblich gezeigt wird, hat AFP zunächst nach Studien gesucht, in denen das Thema wissenschaftlich untersucht wurde, ist aber zu keinem Ergebnis gekommen.
Eine anschließende Anfrage an das BfR bestätigte diese Beobachtung. "Dem BfR sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die eine solche Behauptung stützen würden", erklärte ein Sprecher des Instituts in einer E-Mail am 21. September 2023 gegenüber AFP. "Nach heutigem Stand des Wissens ist Zitronenöl nicht in der Lage, Mikroplastik aufzulösen." Darüber hinaus sei unklar, ob das Mikroplastik aus dem Körper ausgeschieden würde, wenn es aufgelöst werden könnte. "Eine Ausscheidung ist eher wahrscheinlich für größere Partikel, die als chemisch unreaktiv gelten und den Körper über den Darm wieder verlassen können", erklärte der Sprecher.
Zitronenöl sei kein "Allheilmittel" gegen Mikroplastik
Differenzierter betrachtet es Crispin Halsall, Direktor der Fakultät Naturwissenschaften der Lancaster University und Professor der Umweltchemie. "Es ist plausibel, dass Zitronenöl in der Lage ist, bestimmte synthetische Kunststoffe aufzulösen", erklärte er in einer E-Mail vom 28. September 2023 an AFP. Das liege an im Öl enthaltenen Elementen "wie Pinen und Limonen, die wichtige Bestandteile von Terpentin sind, einem aus Kiefern gewonnenen Lösungsmittel, das von Künstlern häufig verwendet wird".
Halsall schränkt jedoch ein: Mikroplastik könne "aus Polyethylen, Polystyrol, Nylon usw. bestehen, die alle ein sehr unterschiedliches Lösungsvermögen in Zitronenöl haben können." Deshalb fasst er zusammen, dass Zitronenöl "nicht das Allheilmittel zur Entfernung von Mikroplastik" sei.
Doris Marko, Professorin und Leiterin des Instituts für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien, erklärte in einer E-Mail vom 21. September 2023 an AFP zusätzlich, es sei nur vorstellbar, dass Zitronenöl Mikroplastik auflöst, "wenn aufgrund der chemischen Struktur des jeweiligen Kunststoffes die chemischen Bindungen in ausreichender Zahl gespalten werden". Vor allem "bei Erdöl-basierten Kunststoffen" könne Zitronenöl das nicht leisten. Außerdem sollte davon ausgegangen werden, "dass gerade die Kunststoffe, die relativ abbaupersistent sind, in Mikroplastikpartikeln enden".
Welche Flüssigkeit im Video zu sehen ist und welcher Stoff von ihr aufgelöst wird, konnten die Expertin und der Experte sowie das BfR anhand des Materials unterdessen nicht beurteilen.
Erhöhte Zufuhr von Zitronenöl eventuell bedenklich
Marko wies darüber hinaus auf die Risiken hin, die der erhöhte Verzehr von Zitronenöl und anderen ätherischen Ölen habe. "Ätherische Öle enthalten eine Reihe natürlicher Inhaltsstoffe, die im Kontext natürlicher Lebensmittel als unbedenklich anzusehen sind", erklärte sie. Jedoch: "Etliche dieser Inhaltsstoffe stellen allerdings erbgutschädigende krebserregende Substanzen dar", was erst bei erhöhter Zufuhr zum Tragen komme. "Ich rate deshalb bei regelmäßiger Zufuhr von Aromaölen wie auch dem angepriesenen Zitronenöl zur Vorsicht."
"Ob die Einnahme von Zitronenöl auch in größeren Mengen gesundheitlich unbedenklich ist, lässt sich nicht pauschal beurteilen", erklärte der Sprecher des BfR. Er betonte jedoch andere Eigenschaften des Öls: "In unverdünnter Form aufgenommen, kann es allerdings u. a. zu Haut- und Schleimhautreizungen sowie zu Magen-Darm-Beschwerden kommen. Zudem besitzen einige Inhaltsstoffe phototoxische Eigenschaften, machen die Haut also anfälliger gegenüber Sonnenlicht."
Gesundheitliche Gefahren von Mikroplastik sind unklar
Außerdem heißt es im Video, ein Mensch würde pro Woche fünf Gramm Mikroplastik zu sich nehmen. Diese Menge geht auf eine Studie im Auftrag des WWF zurück, über die im Jahr 2019 berichtet wurde, und entspricht in etwa einer Kreditkarte.
"Heutiger Stand der Wissenschaft ist, dass Mikroplastik über die Nahrung aufgenommen werden kann", erklärte das BfR. "Da aber der wesentliche Anteil über den Darm wieder ausgeschieden wird, und eine mögliche gesundheitsschädigende Wirkung bisher nicht belegt ist, sieht das BfR kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung in Deutschland durch oral aufgenommenes Mikroplastik."
Laut Christian Laforsch, Professor der Universität Bayreuth und Leiter des Sonderforschungsbereichs "Mikroplastik", seien die derzeit verfügbaren Daten noch unzureichend, "wenn es darum geht, die Risiken von Mikro- und Nanoplastik für die menschliche Gesundheit einzuschätzen", heißt es in einer Pressemitteilung der Universität vom 8. Dezember 2022.
Fazit: Mikroplastik kann aus verschiedenen Kunststoffarten bestehen. Expertinnen und Experten erklärten gegenüber AFP, dass Zitronenöl besonders schwer abbaubare Kunststoffe nicht auflösen kann. Sie raten vielmehr von übermäßigem Verzehr des Öls ab. Darüber hinaus seien keine Studien bekannt, die diese Eigenschaft von Zitronenöl belegen würden.